Reichardt, Philip: Auf einmal war er nicht mehr da
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Ein Sohn, ein Vater, eine Spurensuche
Erinnerungen
Hardcover: Luchterhand, 2008
Taschenbuch: btb, 2009
Inhalt:
Wir glauben, sie zu kennen, weil sie uns von klein auf vertraut sind. Doch was wissen wir tatsächlich über unsere Eltern? Als sein Vater unerwartet stirbt, sieht sich Philip Reichardt einer Reihe von Fragen gegenüber, auf die er keine Antworten hat. Er geht dem Leben seines Vaters nach, überprüft Familienlegenden, führt zahlreiche Gespräche und fördert nach und nach Überraschendes und Erstaunliches zutage. Aber er stößt auch auf Grenzen. Wie nahe kann man seinen Eltern im Nachhinein kommen? Und wie verändert sich das eigene Leben, wenn die Eltern auf einmal nicht mehr da sind? (Pressetext)
Kurzkritik:
Auf mich hat dieses Buch eine beruhigende und eine auffordernde Wirkung: Zum einen habe auch ich erst nach dem Tod meines Vaters realisiert, dass auch er ein Leben abseits seines Vater-Seins hatte, zum anderen weiß ich, dass meine Spurensuche noch nicht abgeschlossen ist. Und einen – wiewohl schwachen – Trost hat mir Reichardt noch “gespendet”: Er meint, die Gespräche, zu denen es nicht und nicht gekommen ist, hätte man ohnedies nie geführt.
Werner gibt (4 von 5 Eselsohren)
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Phase Drei
Vor drei Monaten ist mein Vater gestorben und ich gestehe, dass ich dieses Buch aus persönlicher Betroffenheit heraus gelesen habe. Ich nehme an, die meisten, die zu Reichardts “Auf einmal war er nicht mehr da” greifen, werden dies aus ähnlichen Gründen tun. Das Buch selbst ist allerdings von Betroffenheits- und Erbauungsschriften weit entfernt.
Reinhardt wollte auch keinen Beitrag zur frühen Trauerarbeit leisten (dem Nicht-Wahrhaben-Wollen und den aufbrechenden Emotionen) – den Zeitraum vom Tod seines Vaters bis zur Beerdigung beschreibt er auf 50 Seiten –, dafür widmet(e) er sich obsessiv der “Phase Drei” (nach Verena Kast): dem suchen, finden, sich trennen.
Wer war dieser Mensch?
Wie wohl alle Hinterbliebenen hat es Reichardt bereuht, zu wenig über seinen Vater zu wissen, über zu wenig Relevantes mit ihm gesprochen zu haben. Also hat er die Wohnung seines Vaters akribisch durchsucht und eine Menge Unterlagen bei sich zu Hause deponiert, die er dann sukzessive durchforstet hat: Wer war dieser Mensch? Nun ist das Leben von Reichardts Vater nicht nur ziemlich gut dokumentiert, er hat auch ein Tagebuch hinterlassen, das er als 17-jähriger geführt hat. Mit all dem – und zusätzlichen Recherchen – gelingt es Reichardt, dem Verstorbenen recht nahe zu kommen.
Unsichtbares Erbe
Um dann festzustellen:
Die Vergangenheit seiner Eltern zu kennen, heißt nicht, sie zu idealisieren, sondern schafft erst die Voraussetzung dafür, sich von ihr lösen zu können und sie nicht wie ein unsichtbares Erbe ein Leben lang sich herumschleppen zu müssen.
Auf mich hat dieses Buch eine beruhigende und eine auffordernde Wirkung: Zum einen habe auch ich erst nach dem Tod meines Vaters realisiert, dass auch er ein Leben abseits seines Vater-Seins hatte, zum anderen weiß ich, dass meine Spurensuche noch nicht abgeschlossen ist. Und einen – wiewohl schwachen – Trost hat mir Reichardt noch “gespendet”: Er meint, die Gespräche, zu denen es nicht und nicht gekommen ist, hätte man ohnedies nie geführt.
Von Werner Schuster
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Philip Reichardt, 1963 geboren, leitete vier Jahre lang “jetzt”, das Jugendmagazin der “Süddeutschen Zeitung”, und arbeitete zwei Jahre lang für “Die Zeit” in Berlin. Seitdem ist er überwiegend als Entwickler von Magazinen tätig.
Mehr über Philip Reichardt bei Randomhouse.
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