Bennett, Alan: Die souveräne Leserin
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Erzählung
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Hardcover: Wagenbach Salto, 2008
(“The Uncommon Reader”, Forelake, 2007)
Inhalt:
Wer hätte gedacht, dass eine Liebeserklärung an die Queen und die Literatur so gut zusammenpassen? Die Hunde sind schuld. Beim Spaziergang mit der Queen rennen sie los, um den allwöchentlich in einem der Palasthöfe parkenden Bücherbus der Bezirksbibliothek anzukläffen. Ma’am ist zu gut erzogen, um sich nicht bei dem Bibliothekar zu entschuldigen, leiht sich ebenfalls aus Höflichkeit ein Buch aus – und kommt auf den Geschmack. (Pressetext)
Kurzkritik:
“Die Zeit vetreiben?”, fragte die Queen. “Bücher sind kein Zeitvertreib. Sie handeln von anderen Leben. Anderen Welten. Mann will sich ganz und gar nicht die Zeit vertreiben, Sir Kevin, man wünscht sich im Gegenteil mehr davon.”
Werner gibt (4,25 von 5 Eselsohren)
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Erstaunlicher Genuss
Dieses Buch bringt reine Freude. Abgesehen von der (für den Verlag Wagenbach typisch) edlen Aufmachung, ist nicht nur die Idee Alan Bennetts herrlich, sondern auch die Umsetzung. Die Queen borgt sich eher anstandshalber ein Buch aus – und entdeckt die Welt der Literatur.
Nun macht Bennett daraus keine Klamotte mit einer überforderten Königin, sondern eine von Zuneigung und trockenem, leisem Humor überbordende “Liebeserklärung an die Queen und an die Literatur” (so der Klappentext). Einerseits werden selbst eingefleischte Anti-Monarchisten so einem Staatsoberhaupt sympathisierende Anerkennung zollen, und dann ist mir persönlich noch kein/e dermaßen unvoreingenomme und vorurteilslose Leser/in begegnet (diese Queen liest schlicht und einfach alles – und ist so begeistert, dass sie ihren Pflichten nicht mehr vollends nachkommt). Das gibt Bennet andererseits Gelegenheit, den Literaturbetrieb ein wenig aufs Korn zu nehmen und über das Wesen von Literatur nachzudenken (nachdenken zu lassen):
“Bücher sind kein Zeitvertreib”
“Die Zeit vetreiben?”, fragte die Queen. “Bücher sind kein Zeitvertreib. Sie handeln von anderen Leben. Anderen Welten. Man will sich ganz und gar nicht die Zeit vertreiben, Sir Kevin, man wünscht sich im Gegenteil mehr davon.”
Und dies nicht nur äußerst vergnüglich, sondern auch dramaturgisch erstaunlich erzählt: Bennett beschreibt zumeist nicht eine Szene nach der anderen, sondern wechselt die Szenerie bei Bedarf auch absatzweise (ohne dass man den Faden verlieren könnte):
“Karottenköpfiger Kammerdiener”
“Habe heute Nachmittag eine erstaunliche Gestalt gesehen”, berichtete Seine Königliche Hoheit später. “Karottenköpfiger Kammerdiener.”
“Das muss Norman gewesen sein”, antwortete die Queen. “Ich habe ihn im Bücherbus kennengelernt. Er hat bisher in der Küche gearbeitet.”
“Kann ich mir vorstellen”, sagte der Herzog.
“Er ist sehr intelligent”, erklärte die Queen.
“Muss er auch”, sagte der Herzog, “bei dem Aussehen.”
“Tulip”, sagte die Queen später zu Norman. “Komischer Name für einen Hund.” (Sie sprechen über J.R. Ackerleys Roman “Mein Hund Tulip”; Anm.)
“Es soll fiktional sein, Ma’am, allerdings hatte der Autor im wirklichen Leben auch einen Hund, einen Deutschen Schäferhund.” (Er verriet ihr nicht, dass der Queenie geheißen hatte.)
So gelingt ihm auf gut 100 Seiten mehr an Information unterzubringen als manch andere/r auf 500, ohne dass man davon erschlagen wird. Es verhält sich eher so, dass man dieses Büchlein viel zu schnell liest, weil es auf seine Art durchaus spannend ist. Aber das macht nichts – ein zweites Mal möchte man “Die souveräne Leserin” wohl auf jeden Fall genießen.
Von Werner Schuster
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Alan Bennett, 1934 in Leeds geboren, hat in Oxford studiert und kurzzeitig auch unterrichtet. Anfang der 1960er Jahre trat er beim Edinburgh Festival auf; seitdem arbeitet er als Autor, Schauspieler und Regisseur für Theater, Radio, Film und Fernsehen.
In Großbritannien gilt er als einer der führenden Bühnen- und Drehbuchautoren, die von ihm geschriebenen TV-Serien, in einigen wirkte er auch selbst mit, mit ihren spitzzüngigen Dialogen haben längst Kult-Status erreicht.
Über Alan Bennett bei Wikipedia.
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schon der pfiffige deutsche Titel (endlich einmal!!!) läßt erahnen, dass es sich hier um ein höchst unterhaltsames Büchlein handelt, dessen einziger Nachteil darin liegt, dass man am Ende meeeeeehhhhhrrr möchte.
Alles beginnt mit einem Akt angeborener/anerzogener Höflichkeit und endet überraschend.
Mit herrlichem britischen Humor zeigt Bennett, dass es offenbar leichter fällt, mit königliche-familiären Skandalen fertig zu werden als mit einer durch nichts vom Lesen abzubringenden Königin!
Begeisterte Leser können von ihrer Passion nicht lassen, da hilft weder Politik, noch hohe Diplomatie!