Alarcón, Daniel: Lost City Radio
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Roman
Aus dem Amerikanischen von Friederike Meltendorf
Hardcover: Wagenbach, 2008
Hardcover: Fischer, 2010
(„Lost City Radio“, HarperCollins, 2007)
Inhalt:
Ein südamerikanisches Land, zerrissen nach dem Ende eines blutigen Bürgerkriegs. Eine Frau, ein Mann und ein Kind, deren Lebensgeschichten sich auf unvorhersehbare Weise miteinander verbinden. Die Frau, Norma, moderiert eine Radiosendung, in der die Zuhörer nach ihren Vermissten suchen können. Als Victor, ein Junge aus einem Dschungeldorf, eine Liste mitbringt, die Norma in Lost City Radio vorlesen soll, entdeckt sie auch den Namen von Rey, ihrem Mann, der seit zehn Jahren verschwunden ist. Was weiß sie von Rey? Wer war er? Am Ende hält sie die Schlüssel zu den Ereignissen im Dschungel in der Hand und muss eine schwerwiegende Entscheidung treffen. (Pressetext)
Kurzkritik:
Dieser Roman, der erste Alarcóns, ist schon ein Meisterwerk. Die Komposition ist atemberaubend: Der Autor erzählt nicht linear. Gegenwart und Rückblenden gehen nahtlos (und eben nicht konstruiert wirkend) ineinander über, die notwendige Information ist stets in eine Szene eingebettet, die über sich hinausweist, und dennoch verliert man den Faden nie. Alarcón schildert mit einer gleichermaßen „harten“ wie lyrischen Sprache und beschreibt seine Figuren in einem nie psychologisierenden, schillernden „Spiel“ aus Distanz und Nähe.
Diese Figuren wirken nicht nur authentisch, man erkennt sie auch in sich und anderen wieder – und zwar alle, die „Guten“ wie die „Bösen“, sogar die UrwaldbewohnerInnen. – Das ist so nicht korrekt: Es gibt keine „Guten“ und „Bösen“ in diesem Roman, es gibt „nur“ verschiedene Arten des Umgangs mit den Anforderungen des Lebens. Und so hat Alarcón – man verzeihe das Pathos – das Leben an sich abgebildet oder wiedergegeben.
Werner gibt (5 von 5 Eselsohren)
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Das Leben in Romanform
Ich weiß nicht, ob ich diesem großen Roman gerecht werden kann, aber ich versuche es – in Annäherungen:
1) Nach den ersten 20 Seiten habe ich eine Rubrik mit dem Titel „kurz: gut“ einrichten wollen (mit dem Hinweis, dieses Buch sofort zu kaufen), es aber dann gelassen, weil ich mir dachte, ich schreibe eh bald drüber. Aber schließlich war mir dieses Buch zu schade, dass ich es in ein, zwei Zügen ausgelesen hätte (und dass ich diesbezüglich kein Langsamer bin, bezeugen die drei Rezensionen pro Woche.)
Ein Untergrund-Aktivist?
2) Sagen wir einmal, worum es geht: Ein Land in Südamerika nach einem Bürgerkrieg. Eine eher diktatorische Regierung hat den Krieg gewonnen. Die Radiomoderatorin Norma lässt in ihrer Staatsrundfunk-Sendung „Lost City Radio“ Menschen nach Vermissten suchen. Eines Tages taucht ein 11-jähriger aus einem Dschungeldorf beim Sender auf – mit einer Liste von Vermissten. Darunter der Name von Normas Ehemann Rey. Sie schöpft Hoffnung und begibt sich mit dem Jungen auf die Suche nach dem seit zehn Jahren Verschwundenen. – War der Wissenschaftler Rey auch Untergrund-Aktivist? Was ist mit ihm im Internierungslager namens „Mond“ geschehen? Was hat er im Dschungel außer zu forschen noch getan?
Während und nach dem Bürgerkrieg
3) Aus diesem Setting hat Alarcón (fürs Erste einmal) nichts weniger als eine Metapher für ein Land während und nach dem Bürgerkrieg geschaffen (– der muss nicht in Südamerika stattgefunden haben; ich dachte ständig an den Jugoslawien-Krieg und glaube, jetzt zu wissen, wie es den Menschen dort ergangen ist).
4) Dieser Roman, der erste Alarcóns, ist schon ein Meisterwerk. Die Komposition ist atemberaubend: Der Autor erzählt nicht linear. Gegenwart und Rückblenden gehen nahtlos (und eben nicht konstruiert wirkend) ineinander über, die notwendige Information ist stets in eine Szene eingebettet, die über sich hinausweist, und dennoch verliert man den Faden nie. Alarcón schildert mit einer gleichermaßen „harten“ wie lyrischen Sprache und beschreibt seine Figuren in einem nie psychologisierenden, schillernden „Spiel“ aus Distanz und Nähe.
Verschiedene Arten des Umgangs
5) Diese Figuren wirken nicht nur authentisch, man erkennt sie auch in sich und anderen wieder – und zwar alle, die „Guten“ wie die „Bösen“, sogar die UrwaldbewohnerInnen. – Das ist so nicht korrekt: Es gibt keine „Guten“ und „Bösen“ in diesem Roman, es gibt „nur“ verschiedene Arten des Umgangs mit den Anforderungen des Lebens. Und so hat Alarcón – man verzeihe das Pathos – das Leben an sich abgebildet oder wiedergegeben.
6) Vielleicht hab ich’s jetzt: „Lost City Radio“ ist so etwas wie ein Fraktal (= ein Objekt besteht aus mehreren verkleinerten Kopien seiner selbst), wobei dieser Roman eine verkleinerte (und natürlich eine literarische) Kopie, ja, des Lebens wäre.
Von Werner Schuster
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Daniel Alarcón, 1977 in Lima geboren, lebt in Oakland/USA. Seine Kurzgeschichten erschien u.a. im New Yorker und sind 2006 unter dem Titel War by Candlelight für den PEN-Hemingway Award nominiert worden. Alarcón wuede sowohl von der britischen Zeitschrift GRANTA als auch vom Smithsonian Magazine in die Liste der besten englischsprachigen Nachwuchsschriftsteller aufgenommen.
Über Daniel Alarcón bei Wikipedia (Englisch).
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