Sehr gut, auf Wiederschau‘n
Gestern war ein dickes Buch in der Post, Absender Residenz-Verlag. Ich war mir ziemlich sicher, dass es sich um Wendelin Schmidt-Denglers „Bruchlinien“ handelte.
Mir war auch klar, dass ich sofort drin zu blättern beginnen würde. Was ich beim Öffnen aber nicht wusste, war, dass nach ein paar Sätzen meine paar Erinnerungen an den Wiener Germanistiken auftauchen würden.
Dr. Schuster
Ich könnte jetzt ja behaupten, wenn es mehr solche ProfessorInnen wie Schmidt-Dengler gegeben hätte, dann wäre ich nicht zum Studien-Abbrecher geworden. Was wahrscheinlich nicht stimmt. (Das Gedanken-Experiment, was wäre aus einem Magister oder Doktor Schuster geworden, wäre dennoch interessant.)
Jedenfalls kann ich mich an die Pointe folgender Szene leider nur mehr unzulänglich erinnern: Damals, also in den frühen 90er-Jahren, gab es die GRM (Gruppe Revolutionärer Marxisten; heute SOAL = Sozialistische Alternative) und die nahmen sich jedes Semester eine Vorlesung her, die sie laufend auf Flugblättern kritisierten.
Ungefähr 1982 war Wendelin Schmidt-Denglers „Vorlesung zur österreichischen Literatur 1945 bis 1990“ dran, für die das Audimax mit seinen 800 Sitzplätzen zu klein gewesen ist. Denn Schmidt-Denglers Vorträge waren außer interessant auch begeisternd und amüsant.
Zu klein für Schmidt-Dengler
Die anderen ProfessorInnen ignorierten die GRM-Flugblätter; nicht so Schmidt-Dengler. Der kam jede Woche heraus und bezog spontan Stellung. Einmal wurde er auch mittels Schüttelreimen kritisiert, und er meinte – leider kann ich mich an den Namen nicht mehr erinnern –, wer N.N. hieße, solle keine boshaften Schüttelreime verfassen.
Ich entschuldige mich für die pointenlose Anekdote, die ich nur erzählt habe, weil sie typisch für Schmidt-Dengler war.
An das Folgende erinnere ich mich jedoch vollständig: Für Schmidt-Denglers Vorlesungen hatten sich, glaube ich, doppelt so viele Menschen angemeldet, wie ins Audimax passen. Und die wollten dann alle eine Prüfung ablegen. Diese hielt Schmidt-Dengler im Akkord ab: Jeweils drei StudentInnen in zehn Minuten.
Da saß er dann in seinem Zimmer in einem Zustand zwischen Erschöpfung und Depression und stellte die wohl irgendwann immer gleichen Fragen immer und immer wieder.
Wie ich den Professor aufweckte
Ich habe ihn „aufgeweckt“. Es gab nämlich zu den Vorlesungen eine halbwegs umfangreiche Leseliste, und ich hatte diese Bücher tatsächlich alle gelesen. Und es ergab sich, dass er mich etwas über Peter Handke fragte und ich „Das Gewicht der Welt“ erwähnte.
Worauf sich Schmidt-Dengler schlagartig aufsetzte, mich wirklich ansah und fragte, was ich zu diesem Buch zu sagen hätte. Ich antwortete, das wäre ein Tagebuch, in das Handke nicht Geschehnisse eingetragen hätte, sondern seine Eindrücke von Geschehnissen.
Schmidt-Dengler: „Und wie hat ihnen das gefallen?“
Ich: „Ich – öh – nunja – also –”
Schmidt-Dengler: „Ziemlich fad, was?”
Ich nickte erleichtert.
Schmidt-Dengler: „Sehr gut, auf Wiederschau‘n.“
Ja, so war der. – Und meine Eindrücke von den „Bruchlinien“ sind hier demnächst an anderer Stelle zu lesen.
Werner Schuster
Infos
Über Wendelin Schmidt-Dengler bei Wikipiedia.
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