Závada, Pál: Das Vermächtnis des Fotografen
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Erschienen 2010 bei Luchterhand
Aus dem Ungarischen von Ernö Zeltner
Originalausgabe: „A fényképész utókora“, 2004
Inhalt:
Pál Závadas Roman erzählt viele Geschichten: Die eines Professors, der 1942 mit einer Gruppe in die ungarische Provinz reist, um dort das Leben der Landarbeiter zu studieren. Die des jungen Adam K. der – es ist das Jahr 1968 – insgeheim ein Mädchen anbetet und nur deshalb im Schulchor die Lieder der Partei singt, statt sich die neuesten Songs der Beatles oder Rolling Stones anzuhören, weil er sich sonst nicht in der Nähe seiner großen Liebe aufhalten könnte. Wieder Jahre später, will Adam mit einem Interrail-Ticket und kaum Geld in der Tasche Westeuropa kennenlernen. Unterwegs trifft er Landsleute mit Blumen im Haar, einer Gitarre unter den Armen und einer Menge ungehöriger Ideen im Kopf. Ideen, zu denen auch die freie Liebe und andere Lebensformen zählten. Ideen, über die gute Ungarn besser nicht nachdachten … (Pressetext)
Kurzkritik:
Tragische Schicksale im Zweiten Weltkrieg, politische Auf- und Abstiege werden gezeigt, die ungarische Geschichte wird anhand von Einzelpersonen gezeigt. Erzählt wird aus einer gesellschaftlichen Innensicht, sodass man zumindest Grundkenntnisse über die geschichtlichen Ereignisse haben muss, um zwischen den Ebenen und Figuren nicht durcheinander zu kommen und oft auch, um überhaupt zu verstehen, wovon zwischen den Figuren die Rede ist.
Das titelgebende Vermächtnis ist eine Fotografie, im ersten Kapitel von einem jüdischen Fotografen gemacht, die viele der Hauptpersonen zeigt. Der Fotograf selbst ist im Zweiten Weltkrieg verschollen, die Fotografie taucht im Roman durch Zufall wieder auf, wird jedoch kaum beachtet, da ihr Finder Adam nicht erkennt, wer auf ihr zu sehen ist. Ebenso flüchtig wie die Menschen sind also ihre Spuren, wenn niemand mehr sie zu deuten weiß.
Sabine gibt (3,75 von 5 Eselsohren)
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Flüchtig wie die Menschen
Die Handlung beginnt in Ungarn 1942, als eine Gruppe von „Dorfforschern“ in ein mehrheitlich slowakisches Dorf reist. Im nächsten Kapitel steht eine Schulklasse Ende der 1960er im Mittelpunkt, im dritten dann Adám, ein Schüler aus der Klasse, der 1977 Paris besucht. Anfangs wird abwechselnd auf den drei Zeitebenen erzählt, bis dann schrittweise eine Annäherung erfolgt und schließlich immer mehr von der Zeit danach, Anfang der 1980er Jahre, erzählt wird.
„Wir“ beobachten
Immer wird aus der Sicht eines außenstehenden „Wir“ erzählt, das ständig wechselt, die handelnden Personen misstrauisch beobachtet und oft mehr als sie weiß. Stehen am Anfang der Dorfforscher Dohányos, sein jüdischer Gehilfe Jen≈ë Adler und der slowakische Bauernanführer János Dusza im Mittelpunkt, wird dann von ihren Schicksalen, Kindern und Kindeskindern und deren Verwicklungen erzählt.
Vor allem Liebes- und Beziehungsgeschichten wird Platz eingeräumt, etwa den unglücklichen Lieben des Schülers und Studenten Adám, sowie langjährigen Affären und Ehen, die schließlich doch in die Brüche gehen.
Ein halbes Jahrhundert ungarische Geschichte
Tragische Schicksale im Zweiten Weltkrieg, politische Auf- und Abstiege werden gezeigt, die ungarische Geschichte wird anhand von Einzelpersonen gezeigt. Erzählt wird aus einer gesellschaftlichen Innensicht, sodass man zumindest Grundkenntnisse über die geschichtlichen Ereignisse haben muss, um zwischen den Ebenen und Figuren nicht durcheinander zu kommen und oft auch, um überhaupt zu verstehen, wovon zwischen den Figuren die Rede ist.
Erschreckende Parallelen zu Österreich zeigen sich im Umgang mit Minderheiten, so wird der schwelende Antisemitismus oft verleugnet, über die Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang nicht geredet, die sprachlichen und kulturellen Eigenheiten der slowakisch-sprachigen Bevölkerung werden immer wieder als nicht zu Ungarn gehörig wahrgenommen.
Ein flüchtiges Vermächtnis
Das titelgebende Vermächtnis ist eine Fotografie, im ersten Kapitel von einem jüdischen Fotografen gemacht, die viele der Hauptpersonen zeigt. Der Fotograf selbst ist im Zweiten Weltkrieg verschollen, die Fotografie taucht im Roman durch Zufall wieder auf, wird jedoch kaum beachtet, da ihr Finder Adam nicht erkennt, wer auf ihr zu sehen ist. Ebenso flüchtig wie die Menschen sind also ihre Spuren, wenn niemand mehr sie zu deuten weiß.
Von Sabine Schönfellner
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Leseprobe bei Luchterhand (PDF).
Pál Závada wurde 1954 in Tótkomlós im Südwesten Ungarns geboren. Er lebt in Budapest, arbeitete als Wissenschaftler am Soziologischen Institut der Ungarischen Akademie. 1986 veröffentlichte er sein erstes Buch. Bei Luchterhand erschien bisher der Roman „Das Kissen der Jadwiga“ (2006), Pál Závadas erster Roman. Das Buch wurde verfilmt und mit zwei der renommiertesten Literaturpreise Ungarns ausgezeichnet: dem Jósef-Attila-Preis und dem Sándor-Márai-Preis.
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- von: Sabine
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