21/02/2011von 11.977 Views – 0 Kommentare

Laher, Ludwig: Verfahren

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Buchcover Laher Verfahren
  • Roman
  • Hardcover
  • Erschienen 2011 bei Haymon

Inhalt:

Seit Monaten prägt das Thema Asyl die öffentlichen Debatten und sorgt nach jedem von den Medien aufgegriffenen Einzelfall für heftige Kontroversen. Ludwig Laher überträgt diese brandaktuelle Thematik auf eine literarische Ebene. Er erzählt die exakt recherchierte Geschichte Jelenas als roten Faden eines aufwühlenden Romans, in dessen Mittelpunkt das Justizwesen selbst steht, die Welt der Paragraphen und ihrer Anwendung, ein Spiegelbild unserer Verfassung im doppelten Wortsinn: vielschichtig, mitreißend diskret, erhellend und weit davon entfernt, komplexen Fragestellungen mit einfachen Antworten beikommen zu wollen.

Kurzkritik:

Ich vermute, Lahers wollte mit seinem Buch nicht „bloß“ ein Flüchtlingsschicksal erzählen, sondern auch Verhältnisse und Hintergründe beleuchten. So etwas erwartet man sich von einem Roman ja auch. Was Laher jedoch anscheinend nicht leisten wollte, ist, die verschiedenen Handlungsstränge zusammenzuführen.

Er erzählt oder berichtet, wie gesagt, abwechselnd von Jelena, vom Asylgerichtshof und seinen Mitarbeitern und vom jüdischen Emigranten Kurt. Das Ergebnis ist inhomogen, auch innerhalb der inhaltlich zusammengehörenden Kapitel, die stilistisch nicht einheitlich geschrieben sind.

„Verfahren“ fällt also gewissermaßen auseinander. Ob dies gewollt ist, kann ich nicht sagen, dazu fehlt mir ein erkennbarer Form-Wille. Das Buch könnte genauso gut als eine Reportage gelesen werden, die sich erzählerischer Elemente bedient. Oder als Stückwerk.

Werner gibt  ★★★½☆  (3,5 von 5 Eselsohren)

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Besprechung:

Wieder „nur“ erschüttert

„Verfahren“ ist ein aufwühlendes Buch, aber ist es ein Roman? Und wird es seiner Sache gerecht? Es handelt jedenfalls von Jelena, einer Kosovo-Serbin, die in ihrer Heimat wiederholt Opfer unvorstellbarer Gewalt seitens „enthemmter Mitgliedern der Mehrheitsbevölkerung“ wird. „Schwer traumatisiert, hofft die junge Frau nach zwei Selbstmordversuchen auf einen Neuanfang in Österreich“. Dort aber gerät sie in die Mühlen des Asylrechts.

Nach dem ersten Kapitel in etwas holprigem hochgestochenem Stil (über eine Demonstration gegen Österreichs Asylrecht), dachte ich beim zweiten Kapitel (über eine amtliche Vernehmung Jelenas) noch, ich hätte es mit einem Roman im Protokollstil zu tun. (Dieser leitet sich vom Stil behördlicher Protokolle ab.) Laher zitiert ja auch eingangs den Protokollstil-„Erfinder“ Albert Drach.

Was haben die Nazis damit zu tun?

Weiterhin nüchtern, aber doch auch ironisch (oder sarkastisch) beschreibt Laher sodann den Asylgerichtshof und eine Verhandlung über einen Georgier. Mit dem nächsten Kapitel befinden wir uns plötzlich – ganz ohne Protokollstil – im Wien der Nazizeit. Eine jüdische Familie bringt ihren Sohn Kurt in England unter. Immer wieder wird Laher zwischendurch vom Schicksal Kurts berichten (erst gegen Ende zu wird sich herausstellen, warum; vorerst glaubte ich, Laher wolle Jelenas Leidensweg mit dem der europäischen Juden vergleichen).

Weiters wechselt Laher zwischen reportage-artigen Kapiteln über das österreichische Fremdenrecht und ihre Vollstrecker und Jelenas einfühlsam erzählter Geschichte hin und her. Jene Vollstrecker, mit denen Laher gesprochen hat, scheinen selbst nicht besonders glücklich mit dem Asylrecht zu sein. Zumal bei Fällen wie Jelenas: Albaner haben das Haus der Familie angezündet, bis auf die Mutter und Jelena sind dabei alle umgekommen; die Mutter starb kurz darauf; Jelena wurde von Jugendlichen vergewaltigt; zwei Selbstmordversuche scheiterten; schließlich flüchtete sie nach Österreich, weil sie glaubte, dass sie dort als politisch Verfolgte aufgenommen werden würde.

Über das Ende des Buchs hinaus

Sie darf vorerst bleiben, doch droht ihr – über das Ende des Buchs hinaus – die Abschiebung. Das letzte Kapitel führt an den Anfang zurück: Zwei der Demonstranten werden zu mehrmonatiger Haft verurteilt, weil sie angeblich einen Polizisten verletzt haben.

Ich vermute, Lahers wollte mit seinem Buch nicht „bloß“ ein Flüchtlingsschicksal erzählen, sondern auch Verhältnisse und Hintergründe beleuchten. So etwas erwartet man sich von einem Roman ja auch. Was Laher jedoch anscheinend nicht leisten wollte, ist, die verschiedenen Handlungsstränge zusammenzuführen.

Inhomogen

Er erzählt oder berichtet, wie gesagt, abwechselnd von Jelena, vom Asylgerichtshof und seinen Mitarbeitern und vom jüdischen Emigranten Kurt. Das Ergebnis ist inhomogen, auch innerhalb der inhaltlich zusammengehörenden Kapitel, die stilistisch nicht einheitlich geschrieben sind.

„Verfahren“ fällt also gewissermaßen auseinander. Ob dies gewollt ist, kann ich nicht sagen, dazu fehlt mir ein erkennbarer Form-Wille. Das Buch könnte genauso gut als eine Reportage gelesen werden, die sich erzählerischer Elemente bedient. Oder als Stückwerk.

Komplexe Fragestellungen

Auf dem Umschlag ist zu lesen, dass es in „Verfahren“ um das unmenschliche (Österreichische) Asylrecht gehe, doch wolle das Buch komplexen Fragestellungen nicht mit einfachen Antworten beikommen. Tatsächlich aber macht Laher aus dem Asylrecht etwas Numinoses dadurch, weil zwar seine Umsetzung durch Beamte und ihre MitarbeiterInnen behandelt wird, nicht jedoch die für das Gesetz Verantwortlichen, also PolitikerInnen und Parlament. Nun mag es Jelena durchaus vorkommen, als würde ihr Leben von etwas Übernatürlichem bestimmt und gelenkt werden, besagten komplexen Fragestellungen kommt man so nicht bei.

Ergebnis: abgesehen davon, dass man Mitleid mit den Beamten bekommt, ist man wieder „nur“ erschüttert über ein Flüchtlingsschicksal. Und das hätte Laher dann auch geradeheraus erzählen können.

Von Werner Schuster

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Infos:

Ludwig Laher, geboren 1955 in Linz, studierte Germanistik, Anglistik und Klassische Philologie in Salzburg, Dr. phil.; lebt in St. Pantaleon (Oberösterreich). Er schreibt Prosa, Lyrik, Essays, Hörspiele, Drehbücher und Übersetzungen; dazu kommen wissenschaftliche Arbeiten.

Mehr über Ludwig Laher bei Wikipedia und auf www.ludwig-laher.com.

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