Gellhorn, Martha: Reisen mit mir und einem Anderen
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
- Fünf Höllenfahrten
- Hardcover
- 544 Seiten
- Erschienen 2011 bei Dörlemann
- Aus dem Englischen von Herwart Rosemann
- Originalausgabe: „Travels With Myself and Another“, 2002
Inhalt:
Martha Gellhorns Credo lautet: „Egal wie grauenhaft die letzte Reise auch war, wir geben niemals die Hoffnung auf, dass es bei der nächsten klappt!“ (Pressetext)
Kurzkritik:
Martha Gellhorn kann einen faden Nachmittag unterm Moskitonetz spannender schildern als so mancher Extrembergsteiger seinen Beinaheabsturz mit verrenktem Bein und einer Blutvergiftung um Mitternacht vom Killerberg ohne Handschuhe, blind und taub.
Eva gibt (4,5 von 5 Eselsohren)
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Langeweile – fünf Mal so spannend
Ich liebe es, Bücher über so genannte „Höllenfahrten“ zu lesen, und habe an dieser Stelle auch schon einige davon besprochen: Wie zwei Männer in der Polarnacht zu Fuß zur Antarktis gehen bzw. schwimmen, wie Bergsteiger gar Schreckliches (unter Sauerstoffmangel) erleiden müssen etc. Natürlich musste ich ein Buch lesen, dessen Untertitel „Fünf Höllenfahrten“ lautet! Entsetzen, Pest und Qualen habe ich mir erwartet, drastisch geschildert, den mir, zugegeben, innewohnenden Voyeurismus bedienend, ein Lesevergnügen in schönem Kontrast zu Kräutertee und Katze auf dem Schoß.
Doch da hatte ich nicht mit Martha Gellhorn gerechnet.
Anstrengend, nass und unbequem
Gellhorn, eine US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin, die ihre Karriere als Auslandkorrespondentin begonnen hat, schildert in „Reisen mit mir und einem Anderen“ mit trockenem, fast zynischem Humor und schonungslos offen gegen sich und andere ihre Favoriten unter den von ihr unternommenen Höllenfahrten. Die Reise nach China während des japanisch-chinesischen Krieges etwa unternahm sie, um die chinesischen Truppen zu interviewen. Begleitet wurde sie bei dieser von ihr als „Superschreckensreise“ bezeichneten Höllenfahrt übrigens von ihrem im Buchtitel als „Anderer“ bezeichneten damaligen Ehemann, Ernest Hemingway. Ach, muss das anstrengend, nass, unbequem und langweilig gewesen sein!
Und langweilig
Vor allem langweilig: Das war für Martha Gellhorn der schlimmste aller Schrecken, und diesem begegnete sie auch auf ihrer Reise in die Karibik während des zweiten Weltkriegs. Geplant war ein Exklusivbericht über den U-Bootkrieg rund um die karibischen Inseln, doch daraus wurde etwas, was Gellhorn als „Bummeln auf Booten“ übertitelte. Nach der Lektüre dieser Geschichte weiß ich, was sie damit meinte.
Unfähiger Safaribegleiter
Weil sie unerwartet 3000 Dollar erhalten hatte, erfüllte Martha sich einen Herzenswunsch: eine aufregende Reise durch Schwarzafrika, vom Westen nach Osten, nur zum Vergnügen. Doch auch hier Staub, Hitze, Bürokratie, Gestank, armselige Hotels und Langeweile, Langeweile, Langeweile … Und die Beschreibung ihres (von ihr bezahlten) Safaribegleiters Joshua, der sich als so ausgesucht unfähig und deplatziert erwies, dass es kaum zu glauben ist, trieft vor Sarkasmus und Selbstironie, ohne jemals wirklich diffamierend zu sein.
Graue Straßen, graue Häuserblöcke, graue Menschen
Nächste Höllenfahrt: Moskau, im Sommer 1972, aus einer moralischen Verpflichtung heraus. Durch ihre Korrespondenz mit der Witwe Ossip Mandelstams, Nadescha, deren Buch „Das Jahrhundert der Wölfe“ sie stark beeindruckt hatte, entschloss Gellhorn sich in einem unüberlegten Augenblick, diese zu besuchen. Ein Rückzieher war nicht mehr möglich, also machte sie sich auf die Reise, schon im Voraus ahnend, dass dies eine Höllenfahrt werden könnte. Diese Schilderung des kommunistischen Moskaus ist atmosphärisch so dicht und beklemmend, dass ich von inneren Bildern grauer Straßen, grauer Häuserblöcke und darin in Angst wohnender grauer Menschen geradezu überschwemmt wurde, als ich sie las.
Ein spannender, fader Nachmittag unterm Moskitonetz
Die letzte Schreckensreise nach Eilat, einem Hippielager im Süden von Israel, bezog ihren Schrecken offenbar nur aus der Langeweile, die Martha, deren Reizschwelle diesbezüglich besonders niedrig zu sein schien, dort im Übermaß empfunden haben muss. Doch – gar nicht langweilig für ihre LeserInnen – findet sie selbst dafür scharfe, witzige Worte und schildert klar, pointiert und detailliert ihre Erlebnisse, ob aufregend, gefährlich, mühsam, schmerzlich oder einfach nur langweilig. Womit ich – eingangs schon angedeutet – nicht gerechnet habe, erwarte ich mir doch, ebenfalls eingangs erwähnt, eher ein Überlebensdrama als die Beschreibung eines Regentages, wenn es um „Höllenfahrten“ geht. Doch Martha Gellhorn kann einen faden Nachmittag unterm Moskitonetz spannender schildern als so mancher Extrembergsteiger seinen Beinaheabsturz mit verrenktem Bein und einer Blutvergiftung um Mitternacht vom Killerberg ohne Handschuhe, blind und taub.
Von Eva Schuster
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Martha Gellhorn, 1908 geboren in St. Louis/Missouri begnete Hemingway 1936 in Key West; ab 1937 waren sie in Spanien, 1940 folgte die Heirat (Martha war seine dritte Ehefrau). Robert Capa hat die Hochzeit für das “Life”-Magazin verewigt. Martha Gellhorn war Kriegsreporterin: Spanien im Bürgerkrieg, Prag vor dem Einzug der Deutschen, Finnland beim Einmarsch der Roten Armee, das KZ Dachau kurz nach der Befreiung. Später erlebte sie die Gewaltorgien in Vietnam, im Nahen Osten, in Mittelamerika.
Mehr über Martha Gellhorn bei Wikipedia.
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Klingt irgendwie auch einleuchtend, überall wird immer reduziert auf die furchtbaren und anstrengenden Momente und letztlich wird dabei viel zeit weggestrichen, als nicht beachtenswert, dabei ist das bestimmt bei fast allen Reisen das schlimmste.