Roth, Joseph: Hiob
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
- Taschenbuch
- 189 Seiten
- Erschienen 2010 bei KiWi
- Erstausgabe 1930
Inhalt:
Mendel Singer ist „fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich, ein ganz alltäglicher Jude“. Doch wie einst den biblischen Hiob gefällt es Gott, ihn zu versuchen. Ein Sohn wird zum Militär eingezogen, der zweite flieht nach Amerika. Die Tochter lässt sich mit Kosaken ein, und der jüngste Sohn ist schwer krank. Und das ist erst der Anfang von Mendel Singers Leiden. Gläubig und ergeben nimmt er Prüfung um Prüfung hin. Doch auch die Demut dieses großen Dulders ist irgendwann erschöpft. (Pressetext)
Kurzkritik:
Diese „altertümliche“ Geschichte spricht uns immer noch an. Schließlich fühlen wir uns doch alle vom Schicksal ungerecht behandelt.
Werner gibt (5 von 5 Eselsohren)
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Hoffen auf ein Wunder
Soll man „Hiob“ mit dem Nationalsozialismus in Zusammenhang bringen oder doch eher mit der geistigen Erkrankung von Joseph Roths Frau Friederike Reichler? Als der Roman 1930 erschien, brach die Weimarer Koalition auseinander – und „Friedl“ wurde in ein Sanatorium bei Wien gebracht.
Oder soll man eine mögliche Verbindung von Leben und Werk außer Acht lassen, wiewohl die Krankheit seiner Frau Roth in eine tiefe Krise stürzte. Er hoffte damals auf ein Wunder und gab sich die Schuld daran – (Wahnsinn galt und gilt unter frommen Juden als Strafe Gottes).
Schlag auf Schlag
Jedenfalls wird der „alltägliche Jude“ Mendel Singer, der den „schlichten Beruf eines Lehrers“ ausübt, wie der biblische Hiob von Gott geprüft: sein viertes Kind, Menuchim, kommt körperlich und geistig behindert auf die Welt, Mendel und seine – ihn ohnedies gering schätzende – Frau Deborah leben sich auseinander, Jonas wird zum Militär eingezogen, Schemarjah flieht nach Amerika, die Tochter Mirjam lässt sich mit Kosaken ein.
Und weitere Schicksalsschläge
Als ihn der Auswanderer Schemarjah, der sich jetzt Sam nennt, einlädt, zu ihm nach New York zu kommen, lässt man Menuchim in Russland zurück. Dann geht es Schlag auf Schlag: Sam fällt im ersten Weltkrieg, Jonas wird als verschollen gemeldet, woraufhin Mendels Frau Deborah an Kummer stirbt. Schließlich wird Mirjam verrückt.
Verzweiflung
Mendel (ver-)zweifelt an Gott, er versucht ihn in seinem Leid geradezu, seine jüdische Gemeinde versucht ihn jedoch zu stützen. Bei einer Feier taucht ein berühmter Musiker auf, der sich schließlich als der geheilte Menuchim herausstellt. Am Ende des Buches schläft Mendel Singer glücklich und beruhigt ein.
Diese nahezu archetypische Geschichte mit ebensolchen Figuren erzählt Roth in einer wuchtigen, auch für 1930 „altertümlichen“ Sprache:
Seit diesem Tage hörte die Lust auf zwischen Mendel Singer und seiner Frau. Wie zwei menschen gleichen Geschlechts gingen sie schlafen, durchschliefen die Nächte, erwachten sie des Morgens. Sie schämten sich voreinander und schwiegen, wie in der ersten tagen ihrer Ehe. Die Scham stand am Beginn ihrer List, und am Ende ihrer Lust stand sie auch.
Es bedarf keiner Aussprache
Obwohl sehr symbolhaft, ist „Hiob“ doch realistisch. Und so mag es heutige LeserInnen stören, dass Menuchim seinem Vater, der ihn doch zurückgelassen hat, „einfach so“ verzeiht, dass es keiner Aussprache bedarf.
Dennoch spricht uns diese Geschichte aus vergangenen Tagen heute immer noch an. Schließlich fühlen wir uns doch alle vom Schicksal ungerecht behandelt.
Von Werner Schuster
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Über „Hiob“ bei Wikipedia.
Joseph Roth wurde am 2. September 1894 als Sohn jüdischer Eltern in Brody (Ostgalizien) geboren, studierte Literaturwissenschaften in Wien und Lemberg und nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. Ab 1916 veröffentlichte er Erzählungen und Romane, lebte ab 1918 als Journalist in Wien, dann Berlin, und war von 1923–1932 Korrespondent der Frankfurter Zeitung. Anfang der 1930er Jahre erlangte er mit den Romanen „Hiob“ und „Radetzkymarsch“ Weltruhm. 1933 emigrierte Roth nach Frankreich. Er starb am 27. Mai 1939, verarmt und alkoholkrank, im Pariser Exil und im Alter von nur 45 Jahren.
Mehr über Joseph Roth bei Wikipedia.
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Hiob von Joseph Roth ist bewusst in einem alten Deutsch verfasst, da Roth den Leser in die Welt des osteuropäischem chassidischen Judentums hinein nehmen will. Eine Welt, die für immer unter gegangen ist. Mit ihr ist auch ein jüdischer Glaube verloren gegangen, den wir nur noch aus chassidischen Erzählungen kennen wie sie zum Beispiel Martin Buber veröffentlicht hat. Joseph Roth läßt die alte Welt unter gehen, die neue Welt Amerika (New York) bleibt fremd. In der Fremde pflegt man die Tradition, sie bietet Halt, auch wenn die Menschen nicht mehr recht Glauben können. Mendel Singer verliert seinen alten Gottesglauben und legt sein Frommsein ab wie einen alten Mantel, der nicht mehr passt. Und doch mag die Architektur seiner Seele ihm die Augen zu öffnen für das Licht, das durch den Spalt der Tür in sein Zimmer fällt. Was bleibt sind die alltäglichen Begegnungen auf der Straße und in der Nachbarschaft. Was bleibt ist das Wunder.
Das Ende des Romans rührt zu Freudentränen. Und es ist eine jüdische Lesart vom Ende her zu lesen, vom Ende her den Messias zu erwarten.
Ich habe kein besseres Buch von Joseph Roth gelesen. Für mich bleibt es sein Vermächtnis an uns. Es hält die Frage offen, was wir hoffen dürfen und das wir in allem Unsinn sinnliche Menschen sind, die der Liebe bedürfen.
Und allein wegen der Sprache: Unbedingt lesen!