Nachlese: Frühe Werke #1
Liebe LeserInnen,
bei der Eselsohren-Nachlese sind diesmal frühe Werke von Boyle, Köhlmeier, Irving & Nadolny dran.
Werner Schuster
T.C. Boyle:
Wassermusik
Roman
Übersetzt von Werner Richter
Rowohlt
Inhalt:
T.C. Boyles Kult-Klassiker: poetisch, wild und urkomisch Dieser Roman erzählt von den zwei Westafrika-Expeditionen des schottischen Entdeckers Mungo Park, der sich um 1800 auf die Suche nach dem Niger machte, beide Male in Begleitung eines ehemaligen Sklaven und Butlers. Zugleich ist “Wassermusik” die Geschichte eines Londoner Trunkenbolds und Trickbetrügers namens Ned Rise und von Parks Geliebter und spätere Frau Ailie Anderson, die in Schottland auf die Rückkehr des Weltenbummlers wartet.
Kurzkritik:
Was für ein Gesellenstück! Boyle liebt es, seine Figuren in extreme Situationen zu bringen, und in seinem ersten Roman “Wassermusik” beschreibt er mit großer Fabulierlust die zwei Westafrika-Expeditionen des schottischen Entdeckers Mungo Park, der sich um 1800 auf die Suche nach der Quelle des Niger gemacht hat.
In kurzen Kapiteln wechselt Boyle zwischen Mungo Parks teilweise haarsträubenden (und meist erfundenen) Abenteuern in der Ferne, dem Schauplatz London mit dem Trunkenbold und Trickbetrüger Ned Rise und schließlich Schottland, wo Parks Geliebte und spätere Frau Ailie Anderson auf seine Rückkehr wartet. Ungestüm treibt der Roman dahin – und während man sich mit Boyles überbordender Phantasie vergnügt, mag man auch den Eindruck gewinnen, dass der Autor beim Schreiben ebenso großen Spaß hatte.
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Michael Köhlmeier:
Die Musterschüler
Roman
Piper, dtv
Inhalt:
Diese beeindruckende Schulgeschichte, eine detailreich erzählte psychologische Studie, eine Parabel über die Entstehung kollektiver Gewalt, gehört zum Eindrucksvollsten, was in deutscher Sprache zum Thema Schuld und Vergessen, Verdrängung und Beschönigung des vergangenen Entsetzens geschrieben wurde.
Kurzkritik:
Eigentlich wollte ich ja über Michael Köhlmeiers „Spielplatz der Helden“ schreiben (weil diese Beschreibung einer Grönland-Expedition, deren Teilnehmer ständig gestritten haben, zu meinen Hermann-Buhl-“Forschungen” gepasst hätte), aber ich finde das Buch nicht (wenn du das liest: bitte zurückgeben!) und nehme mir statt dessen ein anderes frühes Werk vor, “Die Musterschüler“.
Dazu zitiere ich schamlos aus einem Interview, das ich 1999 mit Köhlmeier geführt habe: Auch das Tyrannisieren eines Kollegen in „Die Musterschüler“ sei autobiographisch, sagte Köhlmeier damals, aber er habe sich natürlich nicht mehr an alle Mitschüler erinnern können und sich halt andere Vorlagen genommen.
Verhöre
„Die Musterschüler“ sei übrigens sein liebstes Buch, an dem er, obwohl es auch das längste sei, am kürzesten geschrieben habe, allerdings mit jahrelanger Vorbereitungszeit. Zwei Versionen habe er verfasst, bevor er im Verhör-Charakter die entsprechende Form für den Inhalt gefunden habe. (Das ganze Interview wäre hier zu lesen.)
Es geht also um die wahrscheinlich vielen Männern wohlbekannte, gemeinsame Misshandlung eines Mitschülers. In Köhlmeiers wird der Prügelknabe so schwer verletzt, dass man nicht weiß, ob er jemals wieder gesund wird – und 25 Jahre später will keiner die Verantwortung übernehmen.
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John Irving:
Gottes Werk und Teufels Beitrag
Roman
Aus dem Amerikanischen von Thomas Lindquist
Diogenes (1988)
Inhalt:
Homer ist anders als die anderen Kinder im Saint-Cloud’s Waisenhaus: Er will nicht weg. Nach vier gescheiterten Adoptionsversuchen erlaubt Dr. Larch ihm daher, zu bleiben – unter der Bedingung, daß er im Waisenhaus mit angeschlossener Entbindungs- und Abtreibungsstation bei Gottes Werk – dem Entbinden – und bei Teufels Beitrag – dem Abtreiben – assistiert. Doch das ist nur der Beginn von Homers Odyssee.
Kurzkritik:
Meine sich wandelnde Einstellung zu John Irving kann man an meinen Büchern ablesen: “Owen Meany” besitze ich gebunden (weil ich nicht warten konnte, bis der Roman endlich als Taschenbuch herauskam), “Zirkuskind” auch, “Witwe für ein Jahr” ist wieder als Taschenbuch vorrätig. Aber die letzten habe ich beide nicht fertig gelesen. Ich war Irvings dahinschwadronierter skurriler Plots überdrüssig geworden. Und so sind mir auch die Bücher von “Eine Mittelgewichtsehe” bis “Gottes Werk und Teufels Beitrag” die liebsten, weil hier – halbwegs geradlinig – Geschichten erzählt werden, die geschehen hätten können, wenn Gott naiv wäre.
Bis dass ich dich finde
In “Gottes Werk und Teufels Beitrag” bräuchte er dies nicht einmal zu sein, hier bringt Irving seine humanistischen Motive ganz ohne überspannte Phantasie aufs Papier: Das Buch handelt von einem Waisenhaus mit angeschlossener Entbindungs- und Abtreibungsklinik (haben sich “die Amerikaner” über so etwas vor 20 Jahren noch nicht aufgeregt?), der Selbstfindung des Waisenkindes Homer Wells und einer anrührenden Dreiecks-Beziehung zwischen drei befreundeten Menschen.
Dieser Roman macht auf jeden Fall Lust auf mehr. – Vielleicht sollte ich mein Urteil überprüfen, das sich auf zehn Jahre alten Romane von Irving bezieht, und den aktuellen lesen. “Bis ich dich finde” liegt außerdem seit kurzem als Taschenbuch auf.
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Sten Nadolny:
Die Entdeckung der Langsamkeit
Roman
Piper (1983 ff.)
Inhalt:
Seit seiner Kindheit träumt John Franklin davon, zur See zu fahren, obwohl er dafür denkbar ungeeignet ist, denn in allem, was er tut, ist er extrem langsam. Doch was er einmal erfaßt hat, vergißt er nicht mehr. Er geht zur Marine und erlebt den Krieg. Insgeheim aber träumt er von friedlichen Fahrten auf See und von der Entdeckung der legendären Nordwestpassage. Als Kommandant eines Schiffes begibt er sich auf die Suche … Sten Nadolnys vielfach preisgekrönter Bestseller über den englischen Nordpolfahrer John Franklin: eine Studie über die Kunst der Langsamkeit, die dem Rhythmus des Lebens Sinn gibt.
Kurzkritik:
Wahrscheinlich entdeckt man in der “Entdeckung” immer wieder neue, andere Aspekte, je nachdem, in welchem Alter oder Zustand man dieses herrliche, in knappen Sätzen geschriebene Buch liest. Und das ist das Schöne an großer Kunst: Sie scheint für jede/n einzelne/n und für jedes Alter speziell geschaffen zu sein.
Zur ausführlichen Besprechung: Speziell für jede/n
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