„Der Kampf auf dem Bauernhof“ von Heike Trojnar
Das breite Brett wippt federnd unter den Kinderfüßen. Es liegt lose auf dem wurmstichigen Querbalken der Scheune, die immer wieder warnend unter dem Gewicht des elfjährigen Bauernsohns Johann-Jakob knarrt. Der versucht mit wuchtigen Angriffen mittels einer Eisenkette, das Holzbrett seiner Widersacherin zu zerschlagen. Die beiden Kämpfenden liefern sich wiederholt ein Gefecht dicht unter dem Scheunendach. Drei Meter unter ihnen wartet ein Berg voller Heu auf einen der Verlierer. Die Kette kracht wieder auf das Brett und reißt eine weitere Kerbe hinein.
Doch die Verteidigerin, die zehnjährige Hilda, hält mutig dagegen. Sie versucht mit einem Stock, ihren Angreifer aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie versucht, immer wieder dieselbe Stelle zu treffen, um diesen Muskel zu ermüden. „Wumms!“ Hilda steht fest, aber ihre linke Hand tut weh, die das Brett an einem selbst gebastelten Griff hält. Sie spürt, dass sie die Tortur nicht mehr lange aushalten wird.
DruckversionJohann-Jakob ist kräftiger geworden, seit er auf dem Hof mithelfen muss. Aber auch Hilda ist stark, weil sie es gewohnt ist, als Tochter einer Magd arbeiten zu müssen. Und sie muss viel mehr arbeiten, weil Johann-Jakob ein paar Stunden am Tag zur Schule gehen darf und als Sohn des Bauern Sonderrechte genießt.
Seine blonden Locken hüpfen auf seinem Kopf, und mit angestrengtem Gesicht und geröteten Backen versucht er, einen weiteren Treffer zu landen.
Doch Hilda ist flink und schlau. Sie kann an den Augen des Jungen erkennen, was er als Nächstes vorhat. Sie schwenkt ihr Holzschild nach links. Die vorderen vier Glieder der Eisenkette schwingen um die Kante des Bretts und verhaken sich an einem herausragenden Nagel. Die kleine, kräftige Hilda reißt das Brett zurück und zieht den überraschten Johann-Jakob nach vorne. Sie stößt ihm den Stock in seinen schmerzenden Oberschenkel und dann in den Po.
Der blondlockige Junge knickt ein, rudert mit seinem freien Arm und kippt auf die rechte Seite. „Aahhh!“ Sein Schrei ist durchdringend, und das Heu empfängt ihn knisternd.
Sein jüngerer Bruder Karl hat den Kampf vom Scheunentor aus verfolgt und rennt nun aufgeregt zu seinem Vater. „Papa, Papa, die Hilda hat den Jakob ins Heu geworfen! Die haben wieder miteinander gekämpft!“
Der Bauer sitzt mit einem gefüllten Kelch Rotwein auf seiner Ruhebank neben dem Hauseingang. Sein mächtiger Bauch liegt ihm auf dem Schoß, und die Beine stehen breit und dreckig auf dem trockenen Lehmboden. Mit einem Ruck zieht er sich in die Höhe und brüllt: „Dieses Gör! Arbeiten soll sie und sich wie ein Weib geziemen! Ich hab genug von dem misslungenen Bastard!“ Er stapft schwerfällig in Richtung Scheune. Sein Zwirbelbart schaukelt bei jedem Schritt. Er trägt eine Culotte, eine Kniebundhose, wie sie viele Männer im 18. Jahrhundert tragen. Es ist eine enge Hose, die bis zum Knie reicht. Seine Culotte besteht aus grobem Leinen und wird vorne mit Holzknöpfen geschlossen. Beim genauen Hinsehen bemerkt man, dass die Bäuerin diese Knöpfe immer weiter nach innen versetzt hat, weil der Bauer immer dicker geworden ist. Er ist einer der wenigen Bauern im Umkreis, die viel zu essen haben, weil ihm der Hof gehört und er genügend Leute hat, die für ihn arbeiten. Die meisten gehören zum Gesinde, die für ein Jahr bei ihm angestellt sind. Wenn der Bauer zufrieden war mit seiner Magd oder seinem Knecht, zeigt er dies durch Händeschütteln und ein breites Grinsen, und sie wissen, dass sie wieder um ein weiteres Jahr angestellt sind. Oder sie werden von ihm lautstark mit Sack und Pack vom Hof gejagt, denn der Bauer ist als nachtragender und jähzorniger Mensch bekannt. Er wird schnell wütend und steigert sich in seinen Zorn hinein, bis sich dieser meist in einem Sturm voller Ohrfeigen entlädt.
67„Da werde ich wieder mit ihrer Mutter reden müssen, damit sie das Balg in den Griff bekommt, sonst ist es irgendwann aus und vorbei!“, schreit der Bauer.
Hildas Mutter hat dies gehört und sieht mit besorgtem Blick aus dem Fenster, während sie das Mittagsessen vorbereitet. Sie weiß zwar, dass sie frühestens am 2. Februar, an Mariä Lichtmess, mit ihrer Tochter den Hof verlassen muss, weil ihr Arbeitsjahr da zu Ende ist, und nun ist es erst Anfang April, aber sie hat Angst, dass ihre Tochter hier auf dem Hof zu großen Schaden nimmt.
Der Bauer hat die Scheune erreicht. Sein Kopf ist vor Wut ganz rot, und auch die schnellen Schritte haben ihn angestrengt.
Karl steht aufgeregt vor der Scheune und zeigt mit dem Finger auf Hilda, die sich über Johann-Jakob gebeugt hat. Der liegt noch im Heu und reibt sich den Po. Er sieht noch ganz erschrocken aus.
„Da bist du ja, du kleines Miststück!“, tönt die raue Stimme des Bauers ins Innere der Scheune. Seine Hand greift nach einem Seil, das er von einem rostigen Haken reißen möchte. Prompt bleibt er hängen, stolpert und stürzt. Dies bringt ihn noch mehr in Rage. „Dich krieg ich, du kleine Kröte!“, droht er, und es fällt ihm sichtlich schwer, wieder schnell auf die Füße zu kommen.
Hilda steht verdutzt da und ist sich keiner Schuld bewusst. Sie weiß schon, dass der Bauer sie nicht mag. Er behauptet, sie sei das Kind eines Tagelöhners. Ihre Mutter habe sich mit so einem eingelassen, einem, der nach Schweiß stinke, Löcher in den Socken habe und den scharfen Geruch eines Ziegenbocks an sich trage, weil solches Pack in der Scheune beim Vieh schlafe. Ihre Mutter habe nicht einmal den Namen des Kindsvaters gewusst. Deswegen sei sie auch vier Wochen im Zuchthaus gewesen, doch der Bauer habe sie trotzdem wieder auf den Hof genommen. Er schimpft oft, dass er das nicht getan hätte, wenn er gewusst hätte, welch schreckliche Tochter sie geboren habe. Hilda denkt sich hingegen, die Abneigung des Bauern ihr gegenüber habe ihren Grund darin, dass sie in den Raufereien mit seinen Jungs meistens gewinnt, obwohl sie ein Mädchen ist.
Johann-Jakob schnappt Hilda am Bein, damit sie vor seinem Vater nicht flüchten kann. Der Bauer konnte inzwischen das Seil vom Haken lösen. Hilda versucht indes, die Finger ihres Widersachers von ihrem Bein wegzudrücken, und plumpst in das Heu. Mit aller Kraft zieht sie Johann-Jakob in das getrocknete Gras hinein. Das Seil des Bauers zischt durch die Luft und trifft Hilda am Rücken. Es hinterlässt einen brennenden Schmerz, und das Mädchen beißt die Zähne zusammen. Mit dem freien Bein drückt sie Johann-Jakob von sich weg und verkriecht sich weiter ins Heu. Wieder trifft sie das Seil. Allerdings halten die harten Grashalme den Schlag ab, und Hilda zieht es vor, in das Heu hineinzukriechen und sich so nach vorne zu pirschen. Auf der anderen Seite ist eine Holztüre. Ehe Johann-Jakobs bauchgewaltiger Vater sich in diese Richtung bewegen kann, ist Hilda auf der Flucht. Sie rennt den Feldweg in Richtung des Dorfs. Hilda reibt sich die Tränen aus den Augen. Sie weiß, dass nun ihre Mutter Ärger bekommt. Hilda lässt sich auf eine Blumenwiese fallen, um sich auszuruhen.
Ein Märzenbecher sieht sie mit seinem hängenden Kopf an, und daneben blickt das blaue Vergissmeinnicht in die Sonne. Hilda hört das Gras im leichten Wind rascheln. Sie denkt an ihre Mutter: Hoffentlich kann diese den Bauer wieder mit leckerem Essen besänftigen. Er freut sich nämlich schon auf seine Leibspeise, den Saumagen. Im Grunde sind es zwei Saumägen, weil es ja für die ganze Familie reichen muss. Hilda hat sie dabei schon beobachtet: Sie nimmt dafür die leeren, sauber gewaschenen und gesalzenen Mägen der Säue und bindet jeweils die zwei Zipfel zu. Dann macht sie einen Schlitz in den Magen und steckt Schweinefleisch und viele Gewürze hinein und auch Erdäpfel. Die Leute nennen sie „Tartuffeln“, weil sie wie Trüffel aussehen, und auf Italienisch heißt das „tartufolo“.
Hildas Mutter näht dann den Schlitz wieder zu und benötigt gute Nerven, denn der Bauer schleicht dann mit knurrendem Magen um sie herum, und dies ziemlich lange. Sein Leibgericht muss nämlich erst drei Stunden garen; kochen darf es nämlich nicht, sonst platzt die Pelle. Danach müssen die gefüllten Saumägen noch eine Stunde gebacken werden.
Hilda mag besonders die Erdäpfel. Wenn sie unterwegs ist, schält sie die Tartuffeln aus dem Boden und grillt sie mitsamt der Schale im Feuer. Die Tartuffeln gibt es noch nicht lange. Erst vor zwei Jahren, 1756, erging vom König von Preußen, Friedrich dem Großen, der Befehl, dass die Bauern dieses neue Nahrungsmittel anbauen sollen. Lange Zeit konnten die Leute mit den braunen, unschönen Knollen nichts anfangen, haben lieber das Kraut, das an ihnen wächst, gegessen. Davon wurden sie aber ziemlich krank. Die Leute haben sich schnell daran gewöhnt, dass die Wurzeln des Krautes recht bekömmlich und nahrhaft sind, wenn sie gekocht oder gebraten werden. Der König wollte das Volk gestärkt wissen, wobei er da vor allem die Soldaten meinte, die im Krieg sind.
Hilda kommt auf diesem Weg nicht an einem Tartuffelfeld vorbei. Sie hat etwas Hunger. Sie weiß nicht, wie lange sie wegbleiben soll, um dem Bauern nicht zu begegnen. Es kann aber auch sein, dass er so viel gegessen hat, dass er sich danach zur Ruhe legt und schläft. Sie hofft, dass ihre Mutter einen kleinen Teller von der Speise für ihre Tochter beiseitestellen konnte. Ansonsten müsste sie sich mit Suppe in der Gesindestube zufriedengeben und einem Stückchen Brot, falls noch etwas davon übrig wäre.
Sie konnte in der Küche ein Stück Brot erhaschen sowie Sonnenblumenkerne und getrocknete Trauben und isst jetzt etwas davon. Meistens hat sie einen kleinen Vorrat davon in ihren Hemdtaschen. Hilda trägt ein Hemd, wie es die Jungs und Männer tragen: einfach und mit weit geschnittenen Ärmeln an den Unterarmen. Zudem trägt sie eine dunkle Culotte und weiße Kniestrümpfe. Ihrer Mutter gefällt dies nicht, und immer mal wieder versucht sie ihre Tochter dazu zu überreden, sich die Haare wachsen zu lassen und diese wie andere Mädchen mit einer weißen Haube zu bedecken. Sie hofft, Hilda komme zur Vernunft und trage bald ein langes Kleid und verhalte sich nicht mehr wie ein Junge.
© Heike Trojnar
DruckversionMehr über „Hilda kämpft sich durch“
Inhalt: Die zehnjährige Hilda lebt als Tochter einer Magd auf einem Bauernhof, wo sie von den Bauernsöhnen schikaniert wird. Wegen ihres frechen Graupapageis gerät sie in einen Streit mit ihnen und wird vom Hof gejagt.
Taschenbuch
144 Seiten
United p.c., 2012
Bestellen in einer Buchhandlung in Ihrer Nähe, bei Amazon & buch.de.
Mehr über die Autorin
Heike Trojnar, geboren 1964, Krankenpflegerin und Kommunikationswirtin, beruflich tätig in der Sozialarbeit. Schreiben ist für sie eine Leidenschaft. Zwei Romane der Autorin sind bereits auf dem Markt. Sie hat Erfahrungen im Journalismus und Werbetexten, hat für eine kommerzielle Zeitschrift geschrieben, ein Magazin der Behindertenhilfe aufgebaut und dieses zehn Jahre lang mit Artikeln, Kurzgeschichten und Lyrik bereichert.Von Trojnar weiters erhältlich: „Wenn die fremde Seite der Seele spinnt oder: Laras verrückte Welt“ (Mauer Verlag, 2009)
Mehr bei den Eselsohren
- von: AutorIn
- was: Eselsohren exklusiv – Neue Artikel
- wer/wie/wo:
Druckversion