„Und wie lange zahlst du?“ von Christian Klinger
Folgenden Text hat Christian Klinger exklusiv für die Eselsohren geschrieben:
Es war wieder eines der Frühjahre, in denen ich fürchten musste, dass sich mein Herz unkontrolliert verliebt. Die Luft war lau und die Mädchen trugen kurze Kleider. Mein Herz konnte sich damals jedes Jahr aufs Neue verlieben. Der Südwind brachte die milde Luft, ein Mund sandte mir ein Lächeln und schon war’s um mich geschehen.
Ich brauche nicht zu betonen, dass meine Beziehungen nicht besonders lange hielten. Ein neues Lächeln und das Lächeln vom Vorjahr war nur mehr eine Fratze, die es loszuwerden galt. Ich hab versucht, dies elegant zu regeln, in aller Freundschaft. Natürlich waren meine Partnerinnen nicht gerade erfreut, wenn ich ihnen eröffnete, dass sie ab nun an das kleine Wort „Ex“ vor ihren Beziehungsstatus zu stellen hatten. Aber ich ließ mich nicht lumpen. Niemals. Stets habe ich mich großzügig gezeigt. Nora ließ ich damals das Auto, das mir mein Vater zur Matura geschenkt hatte, Vera die Ledergarnitur, die wir gemeinsam für ihre Wohnung angeschafft hatten und wegen Mia musste ich sogar meine Gitarre verkaufen, um ihr mit dem Erlös noch die Busen-OP bezahlen zu können, die ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Die Gitarre war auch ein Geschenk meines Vaters. Eine 76er Strat, bekommen zur bestandenen Nachprüfung in der sechsten Klasse. Schon damals unter Brüdern ein kleines Vermögen wert und heute unter Sammlern sowieso. Und so ginge die Liste weiter: Von mir finanzierte Flatscreens, Ringe, Colliers, Pelze, alles das. Und Karibikurlaube. Wo andere unter Palmen im kitschigen Mondlicht, das sich im türkisfarbenen Wasser spiegelt, Heiratsanträge machen, erklärte ich, dass es aus sei. Und irgendwie haben das meine Partnerinnen wohl schon vorher gespürt. Man merkt, wenn jemand schon auf der Reise ist, auch wenn er noch anwesend ist, so ist er es doch nicht mehr. Keine machte mir eine Szene, keine wollte mich halten.
DruckversionIch unterhalte auch keinen Kontakt mehr zu ihnen, wozu auch? Was vorbei ist, ist vorbei, over and out.
Einzige Ausnahme: Meine Bekanntschaft zu Maria. Aber in die war ich nie so richtig verliebt. Wir schliefen zwar ab und zu miteinander, aber wir hatten nie so etwas wie eine Beziehung und ich denke, das ist der Grund, wieso diese Freundschaft die Jahre überstanden hatte. Wir kannten uns von der Uni und wir waren viel unterwegs, gingen ins Kino, fuhren auf der alten Donau mit dem Ruderboot oder lagen vor der Votivkirche einfach nur in der Wiese und starrten in den Himmel. Dann lernte ich Tamara kennen. Sie war Backgroundsängerin in meiner Band, hatte einen zierlichen Körper mit festen kleinen Brüsten und eine Riesenstimme. Ihre Dreadlocks wippten im Takt, wenn sie sang und dabei den Kopf zur Musik hin- und herwiegte. Breitbeinig stemmte sie die in Pluderhosen steckenden Beine gegen den Boden, beugte ihren Oberkörper vor und sang sich in Trance. Nach ein, zwei Öfen befand sie sich in einem transzendenten Zustand und war mit der Musik verschmolzen. Ich verschmolz dann im Anschluss an die Probe mit ihrem leidenschaftlichen Körper. Wenn sie stoned war, fickte sie am besten, niemals davor oder danach habe ich so ein bewegliches Becken kennen gelernt. Das mit Tamara wurde trotz unserer jugendlichen Flatterhaftigkeit (ich gab mir regelmäßig ein Stelldichein mit Maria, eigentlich eher aus einer Gewohnheit heraus, und ich würde nicht meine Hand verwetten oder ins Feuer legen müssen, dass ich ein Monopol auf Tamaras Beckenkünste besessen hätte) so etwas wie eine echte Partnerschaft. Von Heirat sprach natürlich keiner von uns, wozu auch, aber es gab diese Übereinstimmung, dass man sich irgendwie zum anderen zugehörig fühlte. Ab diesem Moment dieser, meiner Einsicht, wollte ich reinen Tisch machen. Also musste das mit Maria beendet oder in irgendeiner Form geregelt werden. Als aufgeklärte Individuen, wie wir uns damals empfanden, redete man einfach darüber. Tamara war es, die vorgeschlagen hatte, wir sollten bei einem Picknick an der Alten Donau zusammenkommen.
Das ist jetzt alles schon gut zehn Jahre her. Vor zwei Monaten hat sich plötzlich Maria wieder bei mir gemeldet. Aufgeregt hat sie in den Telefonhörer gekeucht. Treffen müssten wir uns, und zwar ganz schnell. Natürlich hatte es mit dem Abend damals zu tun. Wie hätte es auch anders sein können? Alles, was wir in den letzten Jahren miteinander zu besprechen gehabt hatten, hatte sich um diesen Abend gedreht. Wir waren jung damals, wir waren unvernünftig, und ja, wir waren feige. Wir waren einfach zu feige dafür, die Verantwortung für unser Tun zu übernehmen. Und genau das sind die Fälle, für die man dann einen doppelt hohen Preis zahlt. Aber was hätten wir tun sollen, frage ich? Marias Mutter war angesehene Ärztin, Leiterin der Schmerzabteilung im Wilhelminenspital, mein Vater erfolgreicher Anwalt, lebte gut von seiner berühmten Klientel. Ein paar schwere Jungs waren auch dabei. „Man kann solche Leute ruhig vertreten, solange man nicht an sie anstreift“, war eine der von meinem Vater gerne verwendeten Platitüden. An einen von denen bin ich angestreift. Ich kannte ihn schon vorher von der Musik, ich wusste daher, dass er was vercheckt. Ich hab‘s meinem Vater natürlich nicht auf die Nase gebunden. Zum Dank hat er mir nach seinem Freispruch ein kleines Geschenk gemacht. Und ja, dieses Geschenk eben hatte ich dabei, als wir uns damals an der alten Donau trafen. Es war warm, die milde Luft hüllte uns ein wie ein seidener Vorhang, der weite Himmel über uns ließ unseren Gedanken freien Lauf, und wir ließen einfach Dinge zu, die sonst nicht möglich waren. Das mag auch an dem Stoff gelegen haben, den wir geraucht hatten. Nach dem Essen lagen wir geschützt von der Dunkelheit und den Sträuchern um uns nackt auf einer Decke. Was eine Trennung hätte werden sollen, wurde eine Vereinigung. Wir drückten unsere Körper aneinander und wir unterhielten uns ohne Worte. Sprechen war nicht notwendig, wir waren auf einer Welle, jeder wusste um die Bedürfnisse des anderen. Ich koste mit meinem Mund Marias Rücken, was sie mit wohligen Seufzern quittierte, mit der Hand streichelte ich Tamaras Brust, die sich vor Maria niedergelassen hatte. Ich fuhr mit der Hand langsam über Tamaras Bauch hinab zu den Schenkeln. Sie öffnete diese leicht. Maria drückte ihr Gesäß gegen mich und meine wachsende Männlichkeit, während ihre Hände auch über Tamaras Körper wischten. Wir küssten uns – jeder jeden, und wir liebten uns – jeder jeden. Sechs Arme, Hände, Schenkel, drei Münder, die ineinander verschmolzen. Dieses Spiel dauerte Stunden und abwechselnd döste mal der eine oder andere von uns kurz weg, behütet von dieser Einheit, die wir waren. Als ich aufs Klo musste, wand ich mich aus der zärtlichen Umklammerung und schlich mich kurz davon, ehe ich mich Tamara abermals zuwandte.
Als ich aufwachte, war ich ein wenig durcheinander. Maria blickte mich an, sie hauchte mir einen Kuss auf ein Auge, ich weiß nicht mehr welches. „Wo ist Tamara“, fragte ich. Maria fuhr mir durch das Haar. „Ich weiß nicht“, antwortete sie, „sie wollte schwimmen gehen.“ Sie robbte an mich heran, kletterte auf meinen Körper. Ich spürte ihren Busen, wie sie ihre Brustwarzen gegen mich drückte, genau wie den Kuss, den sie andeutete, bevor sie mit ihrer Zunge über meine Lippen leckte. Ich schlief wieder mit ihr und danach ein. Diesmal für länger, bis zur Morgendämmerung, als die ersten Vögel unruhig wurden, als ob sie den nächsten Tag nicht erwarten konnten.
„Ich glaube Tamara ist etwas passiert.“ Ich rieb meine Augen, dann setzte ich mich auf.
„Wie meinst du das?“ fragte ich Maria.
„Sie ist verschwunden, aber ihre Sachen sind noch da. Vielleicht ist ihr beim Schwimmen schlecht geworden.“ Maria hatte recht, da lag Tamaras dünne Seidenbluse, der Rock mit dem Batikmuster, Ihre Sandalen, einzig der Slip fehlte.
Ich sprang auf, lief durch das feuchte Gras zum Wasser. Doch die Oberfläche war glatt, ich sah das Spiegelbild der Bäume, doch keine Spur von Tamara. „Wahrscheinlich hat sie den Shit nicht vertragen und ihr ist schlecht geworden, und dann …“ Ich rannte wie panisch das Ufer auf und ab, doch nicht der geringste Hinweis auf Tamara. Dann schnappte ich unsere Sachen und Maria, und zwar in dieser Reihenfolge und wir hauten ab. Was hätten wir tun sollen? Zu helfen gab es nichts, wir konnten nur noch mehr verlieren als eine gute Freundin. Beide standen wir am Beginn unseres Studiums, jeder Skandal hätte unsere Eltern in größte Schwierigkeiten gebracht und unsere studentische Laufbahn beendet. Das Witzige dabei ist, keiner von uns hat dann sein Studium beendet. Ich wurde Kriminalschriftsteller und musste mir nach dem dritten Bestseller keine Sorgen mehr machen. Zumindest finanziell. Bis zu dem Telefonat vor zwei Monaten. „Jemand weiß etwas“, sagte Maria aufgebracht. Ich hatte sie die letzten Jahre regelmäßig unterstützt, damit sie sich über Wasser halten konnte. Wir trafen uns. Ich schlug eine dunkle Ecke bei der Nussdorferschleuse vor. „Er will Geld, viel Geld, zweihunderttausend.“ Sie holte einen alten Damenslip aus einem Umschlag und blickte zu mir auf wie ein weidwundes Tier. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie an mich. Ich drückte sie fester, spürte, wie ihr Körper einen leichten Widerstand aufbaute. „Alles wird gut“, flüsterte ich sanft in ihr Ohr. „So wie damals.“
Maria versuchte den Kopf zu schütteln, ihr Haar kitzelte mich an der Nase. „Was meinst du mit damals?“
„Als Tamara ihre Gefühle für dich entdeckt hatte. In der fraglichen Nacht, hat sie es mir gestanden. Zunächst musste ich kichern, denn ich war ja stoned. Bis ich begriffen hatte, dass ihr mich abservieren wolltet. Aber am Schluss war Tamara nicht zum Lachen zumute.“
Maria versuchte sich von mir abzustoßen, doch das ließ mich nur noch fester zudrücken. So lange bis ein lautes Knacken zu hören war und ihr Widerstand erstarb. Sie sank zu Boden.
Man kann ruhig seinen Frauen etwas zahlen, solange es freiwillig ist. Nur für dumm sollte man sich nicht verkaufen lassen. Schon gar nicht mit so einem plumpen Versuch.
Ich hievte den Körper hinauf zur Brücke und ließ ihn in den Donaukanal fallen. Der Erpresserbrief, den Slip nahm ich zur Sicherheit an mich, ersetzt jeden Abschiedsbrief.
Dumm gelaufen, sagte ich zu mir. Und ich wusste in dem Moment eigentlich nicht, was ich damit meinte.
© Christian Klinger
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Christian Klinger, geb. 1966, lebt und arbeitet in Wien. Wegen Paragrafenaffinität ungefähr die letzten 20 Jahre erfolglos in Behandlung. Ist eigentlich ein „Wilderer“ unter den Kriminalautoren.
Seit jeher der Musik zugewandt, betätigt er sich neben seinem erlernten Beruf als Jurist immer wieder als Bassist, bis sich Anfang 2001 die eigene Band auflöst.
Nach einem halben Jahr Kreativpause ohne Musik, wechselt er das Metier, tauscht Basssaiten gegen Buchseiten. Verschiedene Veröffentlichungen seit 2005 (Anthologiebeiträge, Rätselkrimis in der Sonntagspresse, Kurier Freizeit Fortsetzungskrimi). Luitpold-Stern-Förderungspreis 2005.
2010 erscheint nach „Die Spur im Morgenrot“ (2005) und „Tote Augen lügen nicht“ (2008) der dritte Kriminalroman aus der Reihe um den tollpatschigen Ermittler Seidenbast mit dem Titel „Codewort Odysseus“.
2012 kam „Winzertod“ heraus, der erste Krimi mit dem Privatdetektiv Marco Martin.
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