Holmes, Deborah: Langeweile ist Gift
Das Leben der Eugenie Schwarzwald
Biografie
Hardcover
388 Seiten
Erschienen 2012 bei Residenz
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Inhalt:
Eugenie Schwarzwald (1872 1940) gehört zu den faszinierendsten Frauen ihrer Generation. Sie setzte sich mit großem Tatendrang für Reformpädagogik, Sozialarbeit sowie Gemeinschaftsküchen und Ferienkolonien ein. Gleichzeitig trat „Fraudoktor“ als Journalistin hervor und führte den in vielerlei Hinsicht progressivsten Wiener Salon ihrer Zeit, in dem Schriftsteller wie Thomas Mann, Sinclair Lewis und Egon Friedell verkehrten. Hilflos musste sie jedoch im Alter mit ansehen, wie Finanzkrise und politischer Extremismus ihr Lebenswerk zunichte machten. (Pressetext)
Kurzkritik:
Ich mag keine Biografien, deren AutorInnen mehr über die Beschriebenen „wissen“ als diese selbst. Deborah Holmes Eugenie-Schwarzwald-Biografie ist das totale Gegenteil davon.
Werner gibt (4,5 von 5 Eselsohren)
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Besprechung:
In guten Händen
Denn Holmes behauptet in ihrem Buch nichts, was sie nicht belegen kann. Das fängt vielleicht ein wenig lückenhaft oder mutmaßlich an, weil es über Schwarzwalds Kindheit und Jugend sehr wenige Fakten zu berichten gibt. Doch ab Schwarzwalds Studienzeit in Zürich (in Österreich und Deutschland konnten Frauen das um die 1900-Wende nicht) bewegt sich Holmes auf mehr gesichertem Boden. Und ab Schwarzwalds Übersiedlung nach Wien geht ihre Rechnung gewissermaßen auf.
Akribisch zusammengetragen
Diese „Rechnung“ ist sehr, sehr groß: Die Quellenangaben und Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln sind oft seitenlang.
Als LeserIn weiß man sich dadurch in guten Händen: Was man über Schwarzwald erfährt, ist nicht zusammengereimt, sondern akribisch zusammengetragen. Und so erfährt man sehr, sehr viel über das Leben einer bedeutenden Frau, deren Tage sinngemäß 48 Stunden gehabt haben müssen.
Pionierin in der Mädchenbildung
Eugenie Schwarzwald (1872–1940) war eine österreichische Pädagogin und Sozialreformerin und ist insbesondere als Pionierin in der Mädchenbildung bekannt. Nach ihrer Heirat mit Hermann Schwarzwald (später u.a. einer der Mitbegründer der Notenbank sowie zuständig für die Völkerbundanleihen, den Ausgleich des Haushalts sowie die Stabilisierung der Währung) lebte sie ab 1900 in Wien.
Schwarzwalds Pädagogik
Sie übernahm dort 1901 das Mädchenlyzeum am Franziskanerplatz 5. Ab 1911 führte sie die Schule als Mädchenrealgymnasium mit acht Klassen. Es war damit die erste Schule in Österreich, an der Mädchen maturieren konnten. Die Grundideen ihrer Pädagogik waren von Gewaltfreiheit, Förderung der Phantasie und Gestaltungskraft und der freien Entfaltung jedes Kindes geprägt.
Gleichzeitig trat die von vielen „Fraudoktor“ Genannte als Journalistin hervor und führte den in vielerlei Hinsicht progressivsten Wiener Salon ihrer Zeit, in dem Schriftsteller wie Thomas Mann, Sinclair Lewis und Egon Friedell verkehrten.
Gemeinschaftsküchen
Während des Ersten Weltkriegs organisierte sie Gemeinschaftsküchen, Alters-, Erholungs- und Lehrmädchenheime. In der Inflationszeit gründete sie dann die „Österreichische Freundeshilfe für Deutschland“, die Gemeinschaftsküchen in Berlin und Erholungsheime auf dem Lande betrieb. Ab 1918 richtete sie mehrere Heime für Kinder und Erwachsene ein, so in Bad Topolschitz, am Semmering, in Bad Ischl, Mödling, Reichenau an der Rax, Waidhofen an der Ybbs und Bad Fischau, 1919 entstand eine Jugendwerkstatt für Knaben in Wien Favoriten.
Treffpunkt „Seeblick”
1920 übernahmen die Schwarzwalds die Villa „Seeblick” am Grundlsee, die sich ebenfalls zu einem Sammelpunkt für Jugendliche, Schriftsteller, Schauspieler und Freunde entwickelte, so für den Pianisten Rudolf Serkin und die Schriftsteller Jakob Wassermann, Carl Zuckmayer und Sinclair Lewis.
Vertrieben
Ab 1933 half sie Flüchtlingen aus Deutschland. 1938 wurde sie während eines Aufenthaltes in Dänemark vom „Anschluss“ überrascht; sie kehrte nicht mehr nach Wien zurück, sondern emigrierte in die Schweiz. In Österreich wurde ihr gesamtes Eigentum „arisiert“ und die Schule geschlossen; die meisten Schülerinnen mussten emigrieren oder wurden später in der Shoah ermordet. Ihr Mann konnte im September 1938 noch aus Österreich in die Schweiz fliehen, wo er 1939 starb. Sie selbst überlebte ihn um ein Jahr.
Antisemitin?
Über Eugenie Schwarzwalds Leben hinaus schildert Holmes auch die Zeit, in der sie lebte. Weiters nimmt sie auf antisemitischen Äußerungen der Jüdin Schwarzwald Bezug, die in letzter Zeit Aufmerksamkeit erregt haben (siehe den Kommentar „Die zweite Vertreibung der Eugenie Schwarzwald“ im Standard vom 26. Oktober 2012). Holmes führt an, dass es sich dabei um eine – unter besser gestellten Juden damals nicht seltene – Abgrenzung gegenüber armen Städtel-Juden gehandelt haben könnte.
Doch die Autorin wertet auch hier nicht. Was sie in ihrer fulminanten Biografie nicht belegen kann, weist sie eindeutig als Vermutung aus.
Von Werner Schuster
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Infos:
Deborah Holmes, geboren 1973 in Cherry Burton, Nordengland. Literaturwissenschaftlerin und Kulturhistorikerin. Sie studierte Germanistik und Romanistik in Oxford, Pavia und Salzburg und lehrte an verschiedenen Universitäten in Großbritannien, Österreich, Deutschland, Italien. Holmes lebt in Wien und London.
Mehr über Eugenie Schwarzwald bei Wikipedia.
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