Hughes, Richard: Orkan über Jamaika
Roman
Hardcover
252 Seiten
Erschienen 2013 bei Dörlemann
Übersetzt von Michael Walter
Originalausgabe: „The Innocent Voyage”, 1929
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Inhalt:
Im Mittelpunkt des Romans steht die zehnjährige Emily Bas-Thornton. Sie lebt mit ihrer Familie auf Jamaika, doch als ein Orkan über die Insel hinwegfegt und das Wohnhaus der Familie davonträgt, beschließen die Eltern, ihre Kinder nach England heimzuschicken.
John, Emily und die „Krümel“ werden einem Schiff anvertraut, das jedoch gekapert wird. Die Kinder bleiben durch eine Verknüpfung unglücklicher Umstände an Bord des Schiffes mit den überaus freundlichen Piraten und erleben in der Folge zahlreiche Abenteuer, ehe sie an Bord eines Dampfers nach England gelangen. Richard Hughes erzählt in einem atemberaubenden Abenteuerroman, dass das Berüchtigte keineswegs so gefährlich und das Unschuldige so harmlos ist, wie es den Anschein macht. (Pressetext)
Kurzkritik:
Man schlägt dieses Buch verstört zu. Ein Buch, von dem man die ganze Zeit glaubte, eine Komödie zu lesen, und dann war‘s eine bittere Tragikomödie. Es gibt darin keine eindeutig Guten und keine eindeutig Bösen, doch leider endet das Zusammentreffen dieser großteils sympathischen Menschen für die nur dem Vorurteil nach Bösen letal. Man könnte nicht sagen, was vom Erlebten die Kinderselen am meisten beeindruckt hat, ob sie Schaden davon genommen haben und was diesen Schaden verursacht haben könnte. Eine „unschuldige Reise“ – so der Originaltitel des Buches – war ihr Abenteuer jedoch auf keinen Fall.
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Besprechung:
Harmlose Piraten, unschuldige Kinder
Zuerst zerstört ein Orkan das Haus der Bas-Thorntons, und die Eltern beschließen, ihre Kinder auf einem Schiff ins sichere England zurückbringen zu lassen. Doch das Schiff wird von Piraten überfallen und die Kinder werden gekidnappt. Und dann stellen sich die Piraten als harmlos, eigentlich liebenswürdig – und als nicht besonders fähig heraus. (Die glorreichen Piraten-Zeiten sind längst vorbei, und sie sind so etwas wie die letzten einer aussterbenden Art.)
Spätestens da wird einem auffallen, dass dieser Roman nicht bloß ironisch geschrieben ist (– so heißt es über die Mutter der Kinder: „Sie steckte voller Theorien über Kindererziehung, die sie aus Zeitmangel nicht in die Praxis umsetzen konnte.“), sondern humorvoll.
Humor
Schwarzer Humor: Der Kapitän des gekaperten Schiffes schreibt an die Eltern der Kinder, dass diese von den Piraten getötet worden wären. (Wir wissen aber, dass dem nicht so ist.)
Humor à la „Fluch der Karibik“: Die Piraten sind so harmlos, dass sie sogar vortäuschen, dass sie ihre Gefangenen foltern.
Doch in dieses Vergnügen hat Hughes tragische oder auf eine mögliche Tragödie hindeutende Ereignisse gesetzt: So stirbt eines der Kinder bei einem unglücklichen Sturz. Und das älteste Mädchen sondert sich von den Kindern ab und verbringt ihre Zeit mit den Piraten. (Es wird aber nicht verraten, was sie mit ihnen macht.)
Täuschung und Verrat
Schließlich will der Piaten-Kapitän die Kinder loswerden und macht einem Dampfer-Kapitän vor, dass er sie vor Piraten gerettet habe. Die Kinder werden auf dem Dampfer nach England gebracht.
Und es würde alles gut ausgehen – sogar die Eltern sind mittlerweile in ihre Heimat zurückgekehrt –, wenn die zehnjährige Emily nicht aus einer Laune heraus die wahre Identität der Piraten verraten würde und wenn sie dann nicht dazu benutzt werden würde, die Piraten zum Tode zu verurteilen.
Eine verstörende Reise
Man schlägt dieses Buch verstört zu. Ein Buch, von dem man die ganze Zeit glaubte, eine Komödie zu lesen, und dann war‘s eine bittere Tragikomödie. Es gibt darin keine eindeutig Guten und keine eindeutig Bösen, doch leider endet das Zusammentreffen dieser großteils sympathischen Menschen für die nur dem Vorurteil nach Bösen letal. Man könnte nicht sagen, was vom Erlebten die Kinderselen am meisten beeindruckt hat, ob sie Schaden davon genommen haben und was diesen Schaden verursacht haben könnte. Eine „unschuldige Reise“ – so der Originaltitel des Buches – war ihr Abenteuer jedoch auf keinen Fall.
Eine eindeutige Botschaft oder Moral ist auch nicht auszumachen. Unzweifelhaft ist jedoch die Meisterschaft von Richard Hughes, bei dem es schon längst nicht mehr darum gegangen ist, was, sondern wie und mit welchen Mitteln er etwas erzählt.
Das Taschentuch un der Orkan
Allein wie er z.B. den Orkan damit beginnen lässt, dass die Kinder einen Schwarzen beobachten, der das herumliegende Taschentuch ihres Vaters an sich nehmen möchte, dieses dann liegen lässt (weil Sonntag ist!) und es später dann doch stiehlt. Als der Orkan mit einem Gewitter beginnt, kommt der Schwarze ins Haus und legt dem Vater das Taschentuch hin. Später wird seine Hütte in Flammen aufgehen – und er vom Blitz getroffen. Erst dann beginnt der Orkan, das Haus abzutragen …
Oder wie Hughes das Innenleben vor allem der Kinder beschreibt:
Wenn Edward grimmig und allein an Deck auf und ab patrouillierte, dachte er oft, dies sei für ihn haargenau das richtige Leben. Was für ein Glück, es auf diese Weise geschenkt zu bekommen, statt wie die meisten Leute extra durchbrennen zu müssen, um zur See zu fahren! (…) bezweifelte er nicht, auf einem Piratenschiff zu sein, und ebenso wenig, dass, wenn Jonsen in einem wilden Kampf ums Leben käme, die Seelaute ihn, Edward, einstimmig zu ihrem Captain wählen würden.
Schwer zu sagen, inwieweit es an der Neuübersetzung von Michael Walter liegt, dass dieser 1929 erschienene Roman modern wirkt, obwohl seine Hauptfiguren Kinder sind.
Von Werner Schuster
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Infos:
Richard Hughes, geboren 1900 in Surrey, England. Seine frühe Kindheit wurde durch den Tod zweier Geschwister und des Vaters geprägt, die Mutter arbeitete nach dem Tod des Vaters als Journalistin. Nach dem Ersten Weltkrieg ging Hughes nach Oxford, wo er zum Star der universitären Literaturszene avancierte. Bereits 1922 publizierte er einen Gedichtband. Eines seiner Theaterstücke wurde im gleichen Jahr im Londoner West End aufgeführt. Hughes’ erster Roman, »Orkan über Jamaika« von 1928 wurde in Großbritannien und in den USA ein Bestseller. Bei Dörlemann erschien 2012 »In Bedrängnis« aus dem Jahre 1938.
Mehr über Richard Hughes bei Wikipedia.
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