18/12/2010von 606 Views – 0 Kommentare

Nizon, Paul: Am Schreiben gehen #5

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  • Frankfurter Vorlesung Nr. 5
  • Taschenbuch
  • Erschienen 1985 bei Suhrkamp


Inhalt:

Paul Nizon hat, als Gastdozent für Poetik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt im Sommer 1984, seine Vorlesungen unter den Titel gestellt: „Am Schreiben gehen“. Mit dieser Formulierung bezieht er sich auf seine Art „Schreibfanatismus“, seinen „Krückstock“. „Weder Lebens- noch Schreibthema, bloß Matiere, die ich schreibend befestigen muß, damit etwas stehe, auf dem ich stehen kann.“ Er versteht sich als einen „vorbeistationierenden Autobiographie-Fiktionär“. Das Passantische im Wort „vorbeistationieren“ meint ein „vorübergehendes Ansässigsein“. (Pressetext)

Kurzinfo:

In seiner fünften Vorlesung beschreibt sich Paul Nizon als „vorbeistationierenden Autobiographie-Fiktionär“.

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Zusammenfassung:

Über die fünfte Vorlesung

Am Beginn der fünften Vorlesung, „Das Erinnern der Gegenwart“, fragte Paul Nizon, „Ich bin ein ichbezogener Schriftsteller, aber bin ich darum Autobiograph?“.

Er beantwortete die Frage gleich selbst: „Ich bin ein Sprachmensch, kein Inhalteverteiler.“ – „Aber es ist nur meine Wirklichkeit. Im Grunde befinde ich mich mit meinem Schreiben auf der Jagd nach dem eigenen Ich.“

Das Wunder der eigenen Wiedergeburt

„Meine Arbeit hat mit dem Dunkel zu tun, und meine Protagonisten sind Leute, die im Dunkeln tappen, Fremdlinge. Es ist das Dunkel des Fremdseins, das die Entdeckungsfahrt und Sprachreise in Gang setzt. Die Fahrt, überhaupt das Unterwegssein, ist ein beherrschendes Motiv – vom Spaziergang bis zur Reise.“

Er beschrieb sein Ziel: „Eine Sekunde lang die Welt, eine ganz begeisterte Welt, haben. In dieser Verfassung entsteht das Wunder der eigenen Wiedergeburt, entstehe ICH.“ – „Doch ist das Ziel immer nur flüchtig erreichbar, in einer Art Taumel.“

Wie dieses Unanschauliche in Erzählbares überführen?

Und er gestand: „Meine Krux ist das Nichterfindenkönnen.“ – „Ich habe strenggenommen auch keine definierbare Thematik.“ – „Aber wie kann man von solchem LEBEN schreiben? Wie dieses Unanschauliche in Erzählbares überführen? Ich muss zusehen und zuwarten, dass sich dieser Raum ballt, bis ich ihn partikel- und probeweise zu einzelnen Entladungen reizen, zu Niederschlägen bringen kann.“ – „Ist die Richtung gegeben, dann ist meist auch das Abfuhrprinzip zur Hand, und die Fährte führt durch das Terrain der Fiktion.“

Es geht um Neuschöpfung

„Die Sprache ist der Motor, und das Schreiben ist jetzt ein geführtes, mitunter mediales Schreiben, vor allem: ein fiktionales Schreiben.“ – „(…) aber jetzt geht es nicht mehr um ein möglichst getreues Wiederfinden oder Aufrechnen der eigenen Geschichte und Geschichten; es geht jetzt um ein möglichst lebensvolles Komponieren, Malen, Evozieren und Musizieren der ihm Rahmen der Sprach entstehenden Geschichte, es geht um Neuschöpfung, eine eigenlebendige souveräne Welt.“

Schweißtuch des schöpferischen Prozesses

„Das Buch soll ein Gebilde voller Alltag und Bekenntnishaftigkeit, insofern ganz und gar Selbsterlebnis – Realität! – und dennoch wie eine Legende, schlechterdings mirakulös sein.“ – „Und wenn es gelingt, wird etwas von einem Werk, das sich selber schreibt, in den Zeilen und Linien des Ganzen schwingen. Das Buch wird neben einigem anderen auch das Schweißtuch des schöpferischen Prozesses oder doch dessen Lineament und Signatur sein.“

Additiv, selektiv und eliminierend

„Bis zum Jahr der Liebe habe ich, ausgehend von Rohfassungen, die ich im Abschreibeverfahren überholte und zusammenfügte, bis ich Form und Sinn des Ganzen zu sehen begann, gearbeitet.“ – „Hatte ich eine einigermaßen stimmige Textfassung, dann sprach ich sie auf Tonband und zwar darum, weil ich beim Abhören etwelche Längen, Wiederholungen, Unreinheiten schneller erkannte als beim Lesen, hauptsächlich aber, um den musikalischen und rhythmischen Fluss überprüfen zu können. Ich ging, was den Gesamtzusammenhang betrifft, additiv und selektiv vor; was die Sprachgestaltung angeht, eliminierend. Erst in Paris habe ich – über das Blindschreiben – gelernt, mich völlig laufen und führen zu lassen.“

Bestenfalls abgelegtes Leben

„Ich erschreibe mir mein Leben. Ich erschreibe es mir von Buch zu Buch – wäre ein knappe Quittung auf mein schriftstellerisches Tun. … aber wenn das Buch da ist, ist es (vom Verfasser aus gesehen) bestenfalls abgelegtes Leben.“

„Gegen Ende des Romans Das Jahr der Liebe, auf einer Busfahrt, wird dann auf einmal das eigene Dunjkel akzeptiert, aber jetzt als Heimat der Imagination und damit der schöpferischen Kondition.“

„Hingebung an die vollkommene Einheit von Form und Substanz“

Zum Abschluss seiner Frankfurter Vorlesungen zitierte Paul Nion Joseph Conrad: „Und nur vermöge einer gänzlichen und unerschütterlichen Hingebung an die vollkommene Einheit von Form und Substanz, nur vermöge einer unermüdlichen und nie entmutigten Sorge um Gestalt und Klang der Sätze kann man der Plastizität und der Farbigkeit sich nähern und kann das Licht magischer Suggestionskraft für einen Augenblick die gemeinplätzige Oberfläche der Worte überspielen: der alten, alten Worte, die verschlissen sind in Jahrhunderten nachlässigen Gebrauchs.“

Von Werner Schuster

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Infos:

Paul Nizon ist der Sohn eines russischen Chemikers, seine Mutter stammte aus Bern. Nach der Reifeprüfung studierte er Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Germanistik an den Universitäten in Bern und München. 1957 wurde er mit einer Arbeit über Vincent van Gogh (Der frühe Zeichnungsstil. Untersuchung über die künstlerische Form und ihre Beziehung zur Psychologie und Weltanschauung des Künstlers) zum Dr. phil. promoviert. Anschliessend war er bis 1959 als wissenschaftlicher Assistent am Historischen Museum in Bern beschäftigt. 1960 hielt er sich als Stipendiat am Schweizer Institut in Rom auf. 1961 war er leitender Kunstkritiker der Neuen Zürcher Zeitung. Er gab den prestigeträchtigen Posten für ein unsicheres Leben in der Literatur auf. Der dazugehörige Entscheidungsprozess findet sich literarisch gespiegelt in Untertauchen. Protokoll einer Reise (1972).
Seit 1962 ist Nizon, der seit 1977 in Paris lebt, als freier Schriftsteller tätig. Er hatte verschiedene Gastdozenturen inne, etwa 1984 an der Universität Frankfurt am Main und 1987 an der Washington University in St. Louis.
Paul Nizon gehört seit 1971 dem Autorenverband Autorinnen und Autoren der Schweiz und seit 1980 dem Deutschschweizer P.E.N.-Zentrum an. Nizons Archiv befindet sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern.

Mehr über Paul Nizon: bei Wikipedia und beim Suhrkamp-Verlag.

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Literaturmagazin Eselsohren – 

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