Apperry, Yann: Blue Notes
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Roman
Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger
Aufbau (2007)
(2000)
Inhalt:
In der Nacht, in der Moe Insanguine in Chicago zur Welt kommt, verliert er seine Mutter und seinen Großvater. Jahre später kehrt er mit seinem Vater Otello, der seine Verzweiflung im Alkohol ertränkt, auf das weitläufige Gut der Familie nach Italien zurück. Eines Tages lernt der einsame, verwilderte Junge den Organisten Paolo Durante kennen, der ihm die Welt der Musik eröffnet und erkennt, dass Moe eine besondere Gabe hat: das absolute Gehör. Wie ein Echo auf alle Begegnungen und Ereignisse in seinem jungen Leben beginnt sich machtvoll eine Melodie in Moe zu formen. Von den Hügeln seiner Kindheit zum Konservatorium, von Rom nach Triest, vom Barock bis zum Jazz verfolgt er fortan ein einziges Ziel: diese Musik geschehen zu lassen. (Pressetext)
Kurzkritik:
Mir ist z.B. T. C. Boyle lieber, der sich auch ganz schön wegphantasieren kann, dessen Prosa aber immer auf solidem Grund steht (Story, Konstrukt, Gehalt, …). Oder Marquéz, oder Berniéres, bei denen ich auch zu wissen glaube, warum. Aber hier? Bei Apperrys “Blue Notes” hatte ich das Gefühl, dass die Phantasie Selbstzweck ist oder dass der Anlass für diese Phantasie zu unbedeutend ist oder ihr Hintergrund nicht erhellt wird.
Werner gibt (2 von 5 Eselsohren)
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Diese Musik tötet
Yann Apperry wurde für “Blue Notes” mit dem Prix Médicis ausgezeichnet. Wer bin ich, dass mich dieses Buch ratlos zurücklässt? Nun, vielleicht strömt das Echo meines Lebens in diese Kritik, die recht harmlos ausfällt angesichts dessen, was da so alles passieren kann …
Doch auch wenn ich persönlich mit diesem Buch nicht viel anzufangen wusste, so muss ich doch anerkennen, dass Yann Apperry toll schreibt, nicht nur bilderreich, sondern auch mit stimmigen, wohlgesetzten Bildern, ausufernd und immer wie gerade noch gebändigt – und relativ spannend: Denn natürlich wollte ich wissen, wie um alles in der Welt der Komponist Moe Insanguine ein Werk schaffen konnte, das seine Zuhörer tötet.
Sagenhaft, absolut, seltsam
Also las ich – über Moes unglaubliche Geburtsumstände (Mutter stirbt, Großvater stirbt), über seine sagenhafte Jugend, sein absolutes Gehör, seine äußerst seltsamen Freunde, dass sein Vater, der einem Wildschwein namens Sing-Sing hinterherjagt wie weiland Kapitän Ahab dem Weißen Wal, von Moes bestem Freund überfahren wird und stirbt –, ich erfuhr überraschend wenig über sein Musikstudium, übers Komponieren oder auch nur über Musik, dafür zieht sich eine begnadete Sängerin während ihres Liederabends aus und ist ein Zwitter, und dann hat Moe noch die Blakey-Krankheit (eine Überempfindlichkeit gegenüber repetitiven Phänomenen) – und am Schluss wusste ich immer noch nicht, wie um alles in der Welt er ein Werk schaffen konnte, das seine Zuhörer tötet, außer dass er gegen seinen Willen einen Pakt mit den unbekannten Mächten meines Wesens eingegangen war, oder es sei denn, dieses Werk wäre ein Echo seines Lebens. Aber: War dieses Leben denn so schlimm (oder voller jenseitiger Einfälle), dass sein Echo töten kann? Da müsste es ja unzählige Mordswerke geben, pausenlos müssten Kunstkonsumenten tot umfallen! Und wenn man das weiterdenkt – schließlich haben ja nicht nur KünstlerInnen sonderbare bis unglückliche Leben –, müssten viele Produkte und Dienstleistungen – aufgrund so eines Echos – tötlich sein.
Selbstzweck
Aber, o.k., hier geht es um Moe Insanguine, der, nachdem er seinen besten Freund mit seinem Solokonzert umgebracht hat, sein Leben erzählt bis dahin, wo er dieses Konzert dann öffentlich aufführt. Warum tut er das? Er weiß doch, was passieren wird. – Und wie um alles in der Welt möchte er nun ein Werk für das Leben schaffen?
Nein, da ist mir zB T. C. Boyle lieber, der sich auch ganz schön wegphantasieren kann, dessen Prosa aber immer auf solidem Grund steht (Story, Konstrukt, Gehalt, …). Oder Marquéz, oder Berniéres, bei denen ich auch zu wissen glaube, warum. Aber hier? Bei Apperrys “Blue Notes” hatte ich das Gefühl, dass die Phantasie Selbstzweck ist oder dass der Anlass für diese Phantasie zu unbedeutend ist oder ihr Hintergrund nicht erhellt wird.
Aber, wie gesagt, vielleicht strömt das Echo meines Lebens in diese Kritik, die recht harmlos ausfällt angesichts dessen, was da so alles passieren kann.
Von Werner Schuster
Yann Apperry, geb. 1972, wuchs in Frankreich und Kalifornien auf. Für den vorliegenden Roman »Blue Notes« erhielt er den renommierten Prix Médicis; 2005 erschien sein Roman »Das zufällige Leben des Homer Idlewilde« (erschienen im Aufbau Taschenbuch Verlag), ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt des Lycéens.
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