Gruber, Sabine M.: Beziehungsreise
Roman
Hardcover, E-Book
222 Seiten
Erschienen 2012 bei Picus
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Inhalt:
Alles beginnt mit dem Ende. Mit dem jähen, gewaltsamen Ende der fatalen Stop-and-go-Beziehung zwischen Sophia und Marcus. Warum nur hat diese Liebesbeziehung zehn Jahre überdauert? Was verbindet die beiden? Gemeinsame Leidenschaften etwa? Oder: Sex? Was sie verbinden sollte, trennt sie. Was der Beziehung Struktur und Inhalt gibt, Hoffnung nährt und Brüchiges kittet, ist: das Reisen. (Pressetext)
Kurzkritik:
Warum wartet Sophie zehn Jahre darauf, dass Marcus sich ihr wirklich zuwendet? Sabine M. Gruber hat einen beklemmenden und aufwühlenden Beziehungsroman geschrieben.
Werner gibt (3,75 von 5 Eselsohren)
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Besprechung:
Auf ihn warten
2010 hat Sabine M. Gruber der Band „Kurzparkzone“ herausgebracht mit zwölf Erzählungen, die alle damit zu tun haben, dass Frauen Parkscheine ausfüllen (in Wien gibt es keine Parkzonen-Automaten) und was sie während der 30 bis 120 Minutenfrist erleben. Alle diese Erzählungen, dachte die Autorin, wären auch als Stoff für einen Roman tauglich, und den über Sophia hat sie 2012 veröffentlicht.
In der Erzählung führt Sophia ihren langjährigen Freund Marcus zu einem Abendessen aus, kurz nachdem er die Beziehung zu ihr ausgerechnet am fünften Jahrestag beendet hat. Als sie ihn danach wieder nach Hause bringt, fragt Marcus sie, „War dir nicht längst klar, dass das nichts wird mit unserer Trennung?“.
Vergewaltigt
Dieser Text steht nun in der Mitte des Romans „Beziehungsreise“, und zu diesem Zeitpunkt wünscht man Sophie von ganzem Herzen, dass sie sich von Marcus damals nicht mehr um den Finger hätte wickeln lassen. Denn am Ende wird Marcus sie körperlich vergewaltigen; geistig und seelisch hat er es die ganze Zeit schon getan, hat sie sich vergewaltigen lassen.
Warum man das vorwegnehmen kann? Weil Gruber die Beziehung von Sophia und Marcus rückwärts erzählt, vom endgültigen Schluss auf den doch so etwas wie Glück versprechenden Anfang zu. Gruber hat ihrem Roman das Kierkegaard-Zitat vorangestellt, „Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber man muss es vorwärts leben“, aber: Kann man verstehen, warum sich Sophia all die Jahre um Marcus bemüht hat?
Sophie macht das Beste draus
Wir erleben die Beziehung aus Sophias Sicht. Sie wohnen nicht zusammen, sondern verbringen Ausflüge und Urlaube miteinander, die sie organisiert: zu an sich schönen (und einnehmend beschriebenen) Orten in Österreich, Ungarn, Portugal, Siebenbürgen, Slowakei, Tschechien, Türkei, Island und Italien. Sophie bemüht sich stets, das Beste aus den Urlauben zu machen, auch wenn Marcus diese selten genießen kann.
Sie ist Schriftstellerin und leitet eine Ghostwriter-Agentur, er ist Bibliothekar möchte ein gefragter Literaturkritiker werden. (Als sie ihm später einen von ihr verfassten Roman zu lesen gibt, schaut er diesen nicht einmal an.)
Marcus‘ Sorgen und Launen
Marcus kümmert sich vor allem um sich selbst, seine Sorgen und Launen bestimmen das immer nur kurzfristige Zusammensein. Er ist Egomane, sie ganz Empathie. Sie versucht ihn zu verstehen, ihn zu unterstützen, sie bemüht sich darum, dass die gemeinsamen Tage – für ihn – schön und interessant sind. Er versucht, Karriere zu machen.
In ihrem Kern verändert sich diese Beziehung nicht, bleibt im selben Schema. Man fragt sich, warum Sophie all die Jahre hofft, dass Marcus sich ihr wirklich zuwendet, warum sie sich von ihm ausnutzen lässt. Und was er davon hat, sie auszunutzen. Denn anscheinend kann sie es ihm ohnedies nie recht machen.
Prägnant
Der prägnant geschriebene Roman verbreitet eine melancholische Stimmung und immer wieder Erstaunen (über sie), Entsetzen (über beide) und auch Wut (über ihn). Ich frage mich, wie viel sich von Sophie und Marcus in jeder Beziehung wieder findet. Ob es auch Männer gibt, die ihren Frauen alles recht machen wollen und dafür vor allem Zurückweisung ernten. Und: Gibt es eigentlich auch ein Buch, in dem sich Paare im gleichen Ausmaß unterstützen und aneinander interessiert sind (oder ist das kein Stoff für Romane)?
Weiters frage ich mich, wie ein Roman aussehen würde, den Marcus über diese Beziehung verfasst hätte. Wahrscheinlich hätte er gar keinen geschrieben. Oder einen über sein berufliches und persönliches Fortkommen, bei dem – die ihn behindernde – Sophie nur am Rande vorgekommen wäre.
Verfremdet
Theoretisch hätte Gruber die Beziehung von Sophie und Marcus genauso gut vorwärts erzählen können. Denn diese ändert sich, wie gesagt, im Wesentlichen nicht. Praktisch aber gewinnt der Roman durch die zeitlich rückwärts gewandte Erzählrichtung: Durch die Verfremdung wird er analytischer, ohne dass Gruber etwas erklären oder den Sprachduktus verändern musste.
Nicht klar wurde mir jedoch, warum Gruber Sophie einen Ehemann an die Seite gestellt hat. Mit diesem, Georg, lebt sie in einer anscheinend harmonischen Ehe (und hat sich mit ihm darauf geeinigt, dass Nebenbeziehungen toleriert werden). Warum braucht sie aber die sie unglücklich machende Beziehung zu Marcus? Und warum bleibt Georg eine Randfigur? – Über ihre Probleme mit Marcus spricht sie (zumindest im Roman) mit einem Therapeuten.
Ansonsten aber ist „Beziehungsreise“ ein schlüssiges, beklemmendes und aufwühlendes Buch.
Von Werner Schuster
P.S.: Wer „Kurzparkzone“ gelesen hat, wird in „Beziehungsreise“ noch eine weitere Erzählung wieder finden: Der Bruder von Nina, der dort Selbstmord verübt hat, ist nun der von Sophie. Und, wie nicht anders zu erwarten, steht ihr Marcus auch hier nicht zur Seite.
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Infos:
Sabine M. Gruber, 1960 in Linz geboren, studierte literarisches Übersetzen (Französisch, Russisch) und Cembalo in Wien; sie schreibt Romane, Erzählungen, Kurzprosa und Musikessays und lebt als freie Schriftstellerin und Musikpublizistin in Klosterneuburg bei Wien. Literaturpreis des Landes Niederösterreich 2002. Im Picus Verlag erschien 2010 ihr Erzählband „Kurzparkzone“.
Mehr über Sabine M. Gruber bei www.sabine-m-gruber.at.
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- von: Werner
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