Zum Beispiel Büchner, Teil 1
Was haben Sie bis zum Alter von 23,5 geleistet (– resp. was wollen Sie bis dahin geleistet haben)?
Unser Genie (* 1813, ‚Ć 1837) hat eine revolutionäre Schrift verfasst, wegen der er steckbrieflich gesucht wurde. Auf der Flucht hat er dann schnell mal drei Dramen mit Bestand und eine zukunftsweisende Erzählung geschrieben. Und „nebenbei“ noch eine wissenschaftliche Studie verfasst, wegen der er ohne Prüfung zum Dr. phil. promoviert wurde. Kurz nachdem er mit seinen Vorlesungen begonnen hatte, starb er an Typhus.
Der Revoluzzer
Beginnen wir einmal mit dem Revoluzzer. Da müssen wir einmal Abstand nehmen vom Klischee. Georg Büchner war kein Che Guevara (wiewohl beide Medizin studiert und sich über wirtschaftliche Ungleichheit und soziale Ungerechtigkeit empört haben). Büchner entstammte eine Ärztefamilie, war so etwas wie ein wohl behüteter Musterschüler (was ihn von den RAF-GründerInnen nicht sonderlich unterscheidet; Anm.), begann zur Zeit der Juli-Revolution in Strassburg zu studieren und wechselte bald nach Gießen, wo er den Gewaltstaat und die Metternich‘schen Zustände im Großherzogtum Hessen unerträglich fand.
Jetzt kommt seine charakterliche Mischung aus Intellektuellem und Romantiker zum Tragen: Er möchte nicht bloß ein bisschen gegen das System protestieren (was allerdings damals schon gefährlich genug war), er möchte nicht nur, dass es ihm und Seinesgleichen besser geht, sondern er will – ja – allen Menschen helfen.
Zu diesem Zweck gründet der Gute mit Studenten und Handwerkern die Geheimorganisation „Gesellschaft für Menschenrechte“. Und während diese Gesellschaft nicht viel zustande bringt, setzt er sich hin und schreibt den „Hessischen Landboten“.
Friede den Hütten! Krieg den Palästen!
Das war und ist eine Flugschrift, die unter der Parole „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ die hessische Landbevölkerung zur Revolution gegen die Unterdrückung aufrief:
Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage und die Fürsten und Reichen am sechsten gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: „Herrschet über alles Getier, das auf Erden kriecht“, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt. Das Leben der Reichen ist ein langer Sonntag: sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigne Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker. Der Bauer geht hinter dem Pflug, der Reiche aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und läßt ihm die Stoppeln. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Reichen.
Und nachdem er die dem Volke abgepressten Steuern den Leistungen des Staates gegenübergestellt hat:
Hebt die Augen auf und zählt das Häuflein eurer Presser, die nur stark sind durch das Blut, das sie euch aussaugen, und durch eure Arme, die ihr ihnen willenlos leihet. Ihrer sind vielleicht 10000 im Großherzogtum und eurer sind es 700000.
Und dies in einem Land, das Wilhelm Grimm (einer der Gebrüder; Anm.) folgendermaßen beschrieben hat:
Die Freiheit war allmählich bis zu einem Grade untergegangen,von dem niemand, der es nicht selbst miterlebt, einen Begriff hat. Jede Unbefangenheit, ich sage nicht einmal Freiheit der Rede, war unterdrückt. Die Polizei, öffentliche und heimliche, angeordnete und freiwillige durchdrang alle Verhältnisse und vergiftete das Vertrauen des geselligen Lebens. – Jeder Widerspruch gegen den geäußerten Willen (des Landesherrn), direkt oder indirekt ausgesprochen, sei ein Verbrechen.
Das gemahnt mich – der ich nicht behaupten kann, davon an Seele, Leib und Geist erfahren zu haben – denn doch an die Umstände in der ehem. DDR. Und wie es Herrn Büchner nach der Veröffentlichung seiner Flugschrift ergangen ist, lesen wir nächste Woche.
© Von Werner Schuster
Fortsetzung folgt.
Infos
Foto Büchners Geburtshaus © Hans Weingartz
Die Links gehen zu Wikipedia, wenn nicht anders vermerkt:
Georg Büchner
Juli-Revolution
Der Hessische Landbote: Infos und Text (bei Projekt Gutenberg)
Wilhelm Grimm
Bei Rowohlt ist eine Büchner-Monographie erschienen; erhältlich bei amazon.de // buecher.de // buch24.de // libri.de.
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- von: Werner
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- wer/wie/wo: Deutschland (AutorIn)
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