Joachim Ringelnatz
1. Sein abenteuerliches Leben
2. Seine (Liebes-)Lyrik und sein Großstatdtroman
3. Seine Turn-, Seefahrer- und Kindergedichte
4. Seine Malerei
5. Best-of-best-of
Sein abenteuerliches Leben
Ich dachte immer, ich hätte schon was erlebt, weil ich als Nachtwächter, Schauspieler, Taxifahrer, Regisseur, Redakteur, Fahrradbote, Öffentlichkeitsarbeiter, Kellner und wahrscheinlich einiges andere auch gearbeitet habe.
Ringelnatz war besser: Der Schriftsteller und Maler war auch Schiffsjunge, hat eine kaufmännische Lehre gemacht, war Kommis, Hausdichter in einer Künstlerkneipe und Buchhalter, dann Privatbibliothekar, Tabakladen-Besitzer und Archivar, im Weltkrieg Marineoffizier, wurde dann kurz berühmt, aber bei Gott nicht reich, bevor die Nazis seine Kunst nicht mochten.
Heißt nicht eigentlich Schnotz
Hans Bötticher, wie er eigentlich hieß, hat gesoffen wie ein Loch, wurde aber nicht (nur) deswegen bloß 51 Jahre alt, und hat sich mit 36 in Joachim Ringelnatz umbenannt, ohne später erklären zu können, was das bedeutet.
Laut seinem Monographen Herbert Günther ist über diesen Menschen viel „Unsinniges und Entstellendes verbreitet“ worden: „Ringelnatz war nicht durch Auffindung einer Insel im Atlantischen Ozan Millionär, durch ihr Verschwinden Bettler, hat nicht am Jiddischen Theater in News York gespielt, hat nicht als blinder Passagier unter einem Eisenbahnwagen Amerika durchreist, war nie Verkehrsflieger, Plakatmaler oder Kneipenwirt, heißt nicht eigentlich Schnotz, ist nicht von Hermann Bahr entdeckt worden, und was findige Köpfchen sonst noch ersannen.“
Und jetzt frage ich mich (Herr Günther ist schon verstorben), warum sich der Monograph über diese Gerüchte dermaßen aufgeregt hat? Nichts davon ist bei jemandem mit einem Lebensverlauf wie dem von Ringelnatz tatsächlich unwahrscheinlich.
Seine (Liebes-)Lyrik und sein Großstatdtroman
Als ich noch zu haben war, war der Ringelnatz-Satz „Ich habe dich so lieb, ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken“ eine Art Test. Sah mich die Frau daraufhin ungläubig und/oder verwirrt an, wusste ich: Wir passen nicht zusammen.
Natürlich ist das ein bisschen übertrieben. Das Gedicht geht jedenfalls so:
Ich habe dich so lieb
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.Vorbei – verjährt –
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich habe dich so lieb.
Da haben wir ihn. Den Poeten, der das „Wahrhaftige“ mit dem Lächerlichen und/oder Absurden in leicht irritierender und doch anheimelnder Lyrik verschmelzen konnte.
Oder Goethe persiflieren (wenn‘s denn eine Persiflage ist):
Drüben am Walde
Kängt ein Guruh –
Warte nur, balde
Kängurst auch du.
Dieser Ringelnatz hat jedoch nicht bloß die paar Gedichte geschrieben, die man halt so kennt, sondern außer jeder Menge Lyrik auch (weniger gute) Theaterstücke sowie Kinderbücher und Prosa.
Wegen „…liner Roma…“ (das für [Ber]liner Roma[ne] steht) kann Ringelnatz als avantgardistisch bezeichnet werden, präsentiert er doch hier nicht nur die Großstadt als Hauptperson (und zwar vor Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“), sondern arbeitet auch mit Montage-Technik (d.i. das Zusammenfügen unterschiedlicher Texte oder Textteile mit unterschiedlichen Sprachebenen und -stilen bzw. Inhalten).
„Das ganze Buch ist wie der Titel nur ein Ausschnitt, da ein Ganzes nicht mehr darstellbar ist“ (Wikipedia) und kann beim „Projekt Gutenberg“ gelesen werden (siehe unten).
Anbei sind zehn Bilder. Die Bilder sind von Ringelnatz. Der war nämlich auch Maler.
Seine Turn-, Seefahrer- und Kindergedichte
Ich habe das nicht gewusst. Also, dass Ringelnatz auch Maler war.
Um ehrlich zu sein, besaß ich lange Jahre nur ein kleines, schmale Bändchen (Buchgemeinschafts-Ausgabe) mit einer Art Best-of-Gedichte-Sammlung (die ich beim Ausziehen aus dem Elternhaus mitgehen hab lassen). Hardcover, violetter Einband. Vorne drauf ein Rettungsring, dahinter ein Bullauge, aus dem wohl der Autor rausschaut, und ein Galgenstrick, bei dem die Schlinge nach oben schaut (man kann darin auch ein Schiffstau erblicken).
Gefühlte tausend Mal gelesen.
Den Seemannsgedichten rund um Kuttel Daddeldu konnte ich nie viel abgewinnen (ich habe allerdings Schifffahrts-Angst; das ist dasselbe wie Flugangst, nur auf Schiffen) und auch den Turngedichten nicht (obwohl, wie ich jetzt bei Wikipedia erfahre, diese „parodieren und karikieren in virtuos gehandhabten Versen in verschiedensten Reimarten, Verslängen und Metren, mit Neologismen und absichtlich falsch angewandter Grammatik die ideologisch-völkische Ausrichtung des Sports nach Turnvater Jahn“).
Ringelnatz‘ Gedichte für Kinder hingegen waren eindeutig mein Fall. „In Gedichtform (steht wieder bei Wikipedia; Anm.) gibt Ringelnatz den Kindern Anweisungen für völlig unpädagogische Spiele: Sie sollen Tiere quälen, die Wohnung verschmutzen und Möbel zerstören, aus Exkrementen Klöße kneten und anschließend mit dem Mund auffangen, Bomben bauen (mit Benzin und Feuer!), andere Kinder anspucken, mit Salzsäure experimentieren und die Eltern mit angeblichen psychischen Erkrankungen ängstigen. Stellen die Eltern die Kinder dann zur Rede, empfiehlt Ringelnatz Lügen und Ausreden.“
Das Doktor-Knochensplitter-Spiel
Dazu braucht man nicht viel.
Nur ein Gänse- oder Hühnerknöchelchen.
Du, Berta, bohrst ein Löchelchen
Ins Sofa und schiebst das Knöchelchen
Weit rein, doch immer dicht unter die Sofahaut,
Daß man‘s von außen wie Knorpel anfassen kann,
Was wie Geschwulst ausschaut.
Das Sofa ist dann dein Mann.
Ich bin der Doktor Frank.
Du sagst: „Mein Mann ist so krank.“
Ich fühle und sage mit ernster Miene:
„Er hat einen Splitter im Herzen sitzen“,
Und nehme das Ölkännchen von eurer Nähmaschine,
Um erstmal Betäubung in das Geschwür einzuspritzen.
Nun kommt die Operation; das ist das Schwere.
Ich nehme ein Messer und eine Schere.
Du nimmst ein Handtuch und fürchtest dich, zuzusehn;
Darum drückst du die Augen zu.
Ich tu einen scharfen Schnitt, greife dann
‚Äî das muß wie der Blitz geschehn ‚Äî
Mit der Zange (das ist die Schere) im Nu
Den Knochen aus deinem Mann.
Weil, wenn ich ihn nicht beim ersten Male geschickt
Gleich rausbekomme, ‚Äî ist die Operation mißglückt.Das nächste Mal bist du Doktor Frank,
Und mein Mann ist krank.Angst darfst du nicht haben. Denn meine und deine
Eltern können uns – Weißt du, was ich meine?!?
Jedenfalls sind in dem Bändchen keine Bilder, die Ringelnatz gemalt hat, sondern etliche zu ihm passende Super-Linolschnitte (von einem Herrn Willberg). Obwohl Ringelnatz auch Maler war.
Darüber wollte ich heute ja auch eigentlich schreiben. Aber jetzt ist das eh schon so lang geworden.
Beim nächsten Mal, o.k.?
Seine Malerei
Ringelnatz als Maler. Ich habe keine Ahnung von Malerei. Also: wenig.
Da lasse ich doch am besten andere zu Wort kommen.
Denn ich bin nicht der einzige, der, wir wissen es schon, nicht wusste, dass der überhaupt. Als im Herbst 1928 in Leipzig die bisher vollständigste Ausstellung von Ringelnatz‘ Gemälden stattfand, sagte eine Bardame angeblich zu ihm: „Was, Sie malen auch? Malen Sie richtige Bilder?“ Darauf Ringelnatz: „Nein, ich male nur unrichtige. Ich forme Gesichter aus Quark und die Augen setze ich aus Kirschen ein. Das Ganze wird dann auf einem Holzbrett serviert.“
Nicht zu einer Bardame meinte er allerdings: „Es ist schön, dass Du etwas an meinen Bildern gefunden hast, die ich ja wirklich wenigstens nicht aus Spielerei, sondern mit viel Liebe, wenn auch mit viel Kampf und Unsicherheit male.“
Laut Wikipedia „belegen seine Gemälde einerseits deutlich, dass Ringelnatz kein ausgebildeter Maler war“, andererseits stünden die besten Beispiele in der Tradition von Neuer Sachlichkeit und Surrealismus.“
Alfred Polgar (Österreichischer Schriftsteller und Journalist) sah das von einer anderen Warte: „Man kaufte ihm seine Bilder ab, und deshalb malte er, wenn er Geld brauchte, simultan. Das heißt, er legte auf den Boden seines Zimmers zwanzig oder mehr Bogen Papier und ging dann mit dem Pinsel die Reihe ab, im Schnellschritt. Für jede Farbe eine Tour.“
Die dem Alkohol ja auch nicht abholden Nazis ließen jedenfalls eine Reihe von Ringelnatz‘ Gemälden als „Entartete Kunst“ aus deutschen Museen entfernen.
Auf das hinauf skandieren wir nun alle gemeinsam (Polgar, der 1933 vor den eigentlich Entarteten in die USA emigrierte, hätte vielleicht mitgetan):
An die Masse
Ich halte zu euch, aber liebe euch nicht,
Weil ihr das niemals versteht.
Und ich liebe – ich liebe – ich liebe euch doch,
Weil ihr solcher Liebe entgeht.Wenn ihr einmal Gelegenheit habt,
Laut zu brüllen gegen Mauern,
Dann schweige ich. Ich bin mehr begabt
Als ihr. Und kann dann nur trauern.
Mehr Bilder von Ringelnatz gibt es hier zu sehen.
Best-of-best-of
Aber mit dieser Nazi-Scheiße mag ich das Ringelnatz-Porträt nicht enden lassen. Und lieber als klug zu schwätzen (oder Gleiches zu zitieren) lasse ich zum Abschluss Herrn Ringelnatz selbst zu Wort kommen – in einer persönlichen Best-of-best-of-Auswahl:
Abschied von Renée
Wann sieht ein Walfisch wohl je
Ein Reh? —
Ach du! Renée!
Und führen wir zusammen zur See,
Wir landeten bei den Wilden. —
Sag: Ist es nicht noch schöner, in Schnee
Als in Erde zu bilden?
Und sei auch kein Fuß an dem Sinn;
Es schweben auf tanzender Melodie
Zwei Federn einer Indianerin
Fort, fort in die weite Prärie.
Ade Renée!Wie dunkelschön war unser Dach,
Als leise wir viere
Zusammenrückten vor Blitz und Krach. ‚Äî
Ich streichle euch guten Tiere,
Nun ich geh.Mir ist so dienstmädchen-donnerstagweh,
Weil ich nun weiterfahre.
Und ich war hundert Jahre
Mit dir zusammen,
Renée.
Kurz vor der Weiterreise
In Eile – in vierzig Minuten
Geht mein Zug. Denke dir nur:
Die gelbe Tasche mit Frack und den guten
Hosen, vier Hemden und Onkel Karls Uhr,
Die Metamorphosen des Tacitus,
Zwei Unterwäschen, fast sämtliche Kragen,
Sogar das Glas mit dem Bandwurm in Spiritus
Und vieles andere. – Schluß – herzlichen Gruß.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich muß dir ja noch die Hauptsache sagen:
Das alles haben sie mir gestohlen.
Ich habe hier Blut geschwitzt.
Der Teufel soll Berlin holen!
Denn auch mein neuer Hut ist vertauscht.
Pfenniger läßt dich grüßen. Er sitzt
Neben mir. Wir sind dir gut, aber ziemlich berauscht.
Heimatlose
Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
“Wo ist das Meer?”
Ernster Rat an die Kinder
Wo man hobelt, fallen Späne.
Leichen schwimmen in der Seine.
An dem Unterleib der Kähne
Sammelt sich ein zäher Dreck.An die Strähnen von den Mähnen
Von den Löwen und Hyänen
Klammert sich viel Ungeziefer.
Im Gefieder von den Hähnen
Nisten Läuse; auch bei Schwänen.
(Menschen gar nicht zu erwähnen,
Denn bei ihnen geht‘s viel tiefer.)Nicht umsonst gibt‘s Quarantäne.
Allen graust es, wenn ich gähne.
Ewig rein bleibt nur die Träne
Und das Wasser der Fontäne.Kinder, putzt euch eure Zähne!!
Emanuel Pips
(Zu seinem 81. Geburtstag)Den Kammerjäger Emanuel Pips
Vom linken Ufer des Mississipps
Mochte jedermann leiden.
Er war äußerst bescheiden.
Er trug acht Zentimeter Rips
Als Anzug und einen Seiden-
faden in Grün als Schlips,
Fragte niemals nach Rennbahntips,
Hatte überhaupt keinen Grips,
Aß einmal am Tage (potato-chips),
Trank alkoholfreie Salzwasserflips,
Wurde trotz alledem magenkrank
Und starb am Schwips.
Seine kleine Büste aus Gips
Steht unter anderen Nippes
Heute auf meinem Bücherschrank.Berichtigung: Kammerjäger Pips
Schrieb sich eigentlich innen mit Yps-
ilon, doch war so bescheiden und lieb,
Daß es ihm gleich war, wie man ihn schrieb.
An Gabriele B.
Schenk mir dein Herz für vierzehn Tage,
Du weit ausschreitendes Giraffenkind,
Auf daß ich ehrlich und wie in den Wind
Dir Gutes und Verliebtes sage.
Als ich dich sah, du lange Gabriele,Hat mich ein Loch in deinem Strumpf gerührt,
Und ohne daß du’s weißt, hat meine Seele
Durch dieses Loch sich bei dir eingeführt.
Verjag sie nicht und sage: „Ja!“
Es war so schön, als ich dich sah.
Ende
Infos
Die bei Rowohlt erschienene Ringelnatz-Monographie
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„…liner Roma…“ kann man online beim beim Projekt Gutenberg lesen.
„Sämtliche Gedichte“ sind bei Diogenes als Taschenbuch erschienen und
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„Sämtliche Erzählungen und Gedichte“ sind bei Diogenes als Hardcover erschienen und
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