Wohllaib, Ingried: Gasthauskind
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Roman
Erschienen 2009 als Hardcover bei Piper
Inhalt:
Ein kleines katholisches Dorf in Süddeutschland, in der trügerischen Idylle eines Jagdschlösschens betreibt die Mutter ein Gasthaus: Dort wächst Isabell auf. Es wird hausgeschlachtet, die Stammgäste packen mit an und ziehen den toten Hasen das Fell über die Ohren. Zwischen Bierzapfen und den Anzüglichkeiten der Gäste führt Isabell ein öffentliches Leben. Harte Arbeit und die Eingespanntheit der Eltern machen es zu einer Kindheit, die keine ist. In der sie sich unter den Augen der männlichen Gäste, die überall herumlungern, samstags waschen lassen muss, in der die Zeche und die Zufriedenheit der Gäste schwerer wiegen als das eigene Wohl. Schon früh weiß Isabell, dass sie dieser Welt entfliehen will. (Pressetext)
Kurzkritik:
Wenn nun Petra Morsbach im Nachwort zu „Gasthauskind“ meint, dass dieser Text so lange keinen Verleger fand, weil er provoziert, so kann ich das nicht glauben.
Ich glaube viel eher, dass wir es hier nicht mit einem Roman zu tun haben, sondern eben mit einer Autobiografie, die sich als Roman ausgibt. Denn ein Leben mag gewiss abenteuerlich, schrecklich und betrüblich sein, gut gebaut (und provokant) ist es deswegen noch lange nicht.
Werner gibt (3,25 von 5 Eselsohren)
Besprechung: Sie können auchSie war ein Gasthauskind. Jetzt ist sie Grafikerin
und hat ein Buch über ihre Kindheit geschrieben
Dass ich Schwierigkeiten mit autobiografischen Romanen habe, davon kann Ludwig Fels ein Super-Lied singen (siehe hier). Wenn nun Petra Morsbach im Nachwort zu „Gasthauskind“ meint, dass dieser Text so lange keinen Verleger fand, weil er provoziert, so kann ich das nicht glauben.
Ich glaube viel eher, dass wir es hier nicht mit einem Roman zu tun haben, sondern eben mit einer Autobiografie, die sich als Roman ausgibt. Denn ein Leben mag gewiss abenteuerlich, schrecklich und betrüblich sein, gut gebaut (und provokant) ist es deswegen noch lange nicht.
Kind ohne Privatleben
Auch Ingried Wohllaibs Leben war nicht gut gebaut. Sie war ein Gasthauskind und berichtet nachvollziehbar, wie es – in diesem Fall – einer Frau ergeht, die kein Privatleben hat, die immer und überall zur Verfügung stehen muss, die schon als Kind Tag und Nacht schuften musste.
Wohllaibs Buch ist auch ein großartiges Zeitdokument über Deutschland(s Provinz) nach dem Krieg – und eine Übelkeit hervorrufende Beschreibung dessen, wie zumeist alkoholisierte Gäste zum Beispiel auf die Bedienung wirken.
Die Magd will Künstlerin sein
Aber warum hat Wohllaib ihren Text nicht in etwa „Ich war ein Gasthauskind und bin jetzt Grafikerin“ genannt? Sie hat gewiss viel Distanz gewonnen zu sich als geknechtetem Mädchen, sodass ihr Schicksal nicht nur für sich selbst steht, aber ihr fliegender Wechsel an die Kunstschule München ist eigentlich bloß Privatsache.
Eigentlich hätte das Buch hier enden können. Oder Wohllaib hätte die Schwierigkeiten schildern müssen, als Magd plötzlich Künstlerin sein zu wollen. Ein Roman hätte wohl gezeigt, dass man das entweder nicht oder trotz allem schafft.
Plötzlich ohne Rocco in Italien
Im wirklichen Leben kellnert man jedoch an den Wochenenden und in den Ferien daheim. Und dann lernt man einen Rocco kennen, dem man nach Italien folgt, wo man – schließlich ohne ihn – bleibt und einen Super-Job findet. In einem Roman wiederum setzt man das nicht geschwind am Ende hinzu, man fügt es ins Gesamte ein oder lässt diese Szenen bleiben.
Und so kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser Text zu provokant für die (Verlags-)Welt gewesen sein könnte. Er hat Qualitäten, die ihn trotz seiner Mängel publizierbar machten. Ganz bestimmt zeigt er die schrecklichen und betrüblichen Seiten von Gastgewerbe und Familienbetrieben. Und nicht alle Kinder aus letzteren können das so eindringlich beschreiben wie Wohllaib.
Von Werner Schuster
Infos
Über Ingried Wohllaib auf www.ingriedwohllaibdesign.com.
– in einer Buchhandlung in Ihrer Nähe
– bei Amazon
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