Michael Köhlmeier
DIE TRISEKTIONISTEN – Eine Nach-Erzählung
Nach Stunden glaubten wir zu wissen, warum mein Freund Jo alle erhältlichen Bücher von Michael Köhlmeier gelesen hat: Er und sein Lieblingsautor sind Trisektionisten.
Nicht in einer Buchhandlung hat mein Freund Jo (von Johann) seinen Lieblingsautor Michael Köhlmeier für sich entdeckt, sondern via Radio. Man schrieb das Jahr 1982, in Ö3 lief die „Musikbox“ und stellte Köhlmeiers ersten Roman vor: „Der Peverl Toni und seine abenteuerliche Reise durch meinen Kopf“.
Jo merkte sich Autor und Buchtitel nicht und war ganz überrascht, als ihm diese beim ORF-Kundendienst auf mehr als vage Angaben hin augenblicklich genannt wurden. Als ob schon viele dort angerufen hätten, erzählte er mir, und daß er den Roman verschlungen habe wie schon lange keinen mehr.
Jo hat seither alle Neuerscheinungen Köhlmeiers gekauft und zum Teil mehrmals gelesen – ich den „Peverl Toni“ immer noch nicht. Aber das könnte sich bald ändern, denn Köhlmeier hat mir ein Exemplar geschenkt, doch davon später.
Wie wäre es, wenn –
Zunächst bereite ich gerade den Inhalt dieses Magazins vor und erfahre, daß bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen das Stück „Der liebe Augustin“ von Michael Köhlmeier uraufgeführt wird. Augenblicklich fällt mir mein Freund Jo ein. Wie wäre es, frage ich mich –
Wie wäre es, frage ich Jo Minuten später am Telefon, wenn du ein Gespräch mit Michael Köhlmeier führst.
Im Gegensatz zu Köhlmeier sagte Jo diese Idee nicht sofort zu. Was soll ich ihn denn fragen, fragt er. Was dich interessiert, sage ich. Aber das ist doch eine komische Situation, stellt Jo fest. So was habe ich andauernd, antworte ich.
Wer ist denn jetzt wer?
Wochen später sitzen wir in einem Garten in Hohenems, Michael Köhlmeier kredenzt Kaffee, schaut in die Runde und fragt: „Wer ist denn jetzt wer?“
Ja, preßt Jo heraus, er habe alle Romane von ihm gelesen und – „Wirklich?“ Köhlmeier erhebt sich halb, schüttelt anerkennend Jos Hand. „Und was wollen‘S denn wissen?“ – „Naja, ich kenne Sie als Theaterautor eigentlich nicht –“
An sich schreibe er auch kaum fürs Theater, sagt Köhlmeier, vor ein paar Jahren gab‘s eine Bearbeitung eines Lope de Vega-Stücks, heuer im Landestheater „Mein privates Glück“ über eine Frau im Rollstuhl, das sei schon autobiographisch, seine Mutter sei auch im Rollstuhl gesessen.
Intendant Wopmann habe bei ihm ein Stück bestellt, er sei nach Bregenz gefahren ohne zu wissen, welches Thema er eigentlich vorschlagen soll, habe dann Diogenes vorgeschlagen, und Wopmann habe gefragt, warum machen‘s denn nicht gleich etwas über den lieben Augustin.
Reimen macht süchtig
„Ein Endzeit-Stück?“ mische ich mich – ausnahmsweise – ein. Sicher, sagt Köhlmeier, aber er unterwirft sich der Endzeit-Stimmung nicht. Er weist auf uns, auf den Garten, den Kaffee – Ob es hier, wo wir sitzen, irgendjemandem jemals besser gegangen sei als uns. Aber natürlich sei die Gegenwart in das Stück eingeflossen. Man könne doch etwa nicht vergessen, daß in Ex-Jugoslawien mit Föten Fußball gespielt werde. Sagen wir so: Das Stück sei nicht aktuell geschrieben, aber sicher ununterbrochen aktuell.
Und er habe sich etwas angetan: Köhmeier hat den „Augustin“ teilweise gebunden und gereimt geschrieben. Zum einen könne man dadurch komplexe Zusammenhänge kurz und prägnant dar-, zum anderen ließe sich mit Reimen eine Distanz zum Geschehen herstellen. Um Reimen mache süchtig. Am Schluß habe er auch außerhalb seines Arbeitszimmers zu jedem Wort einen Reim gebildet.
Auch dramaturgisch habe er sich gefordert: Das Stück beginnt „klassisch gebaut“, Möglichkeiten tun sich auf, die die Pest dann „abschneidet“. Dann wird‘s ein wenig wie Becketts „Endspiel“. Und am Schluß wird Boulevard und Endspiel „zusammengepackt“ und der Tod in die Pestgrube eingesperrt.
Der Tod schreibt mit
Ohne daß er es beabsichtigt hätte, würde in seinen letzten drei Arbeiten der Tod auftauchen. Im Roman „Sunrise“ als faire Figur – Jo merkt an: und als konsequente; Köhlmeier nickt –, im „privaten Glück“ als – unkonsequente, und im „Augustin“ quasi als Teufel, der mit den Schicksalen spiele.
Dabei habe er, Köhlmeier, außerhalb des Schreibens eigentlich nicht über den Tod nachgedacht. – Aber wir tun es jetzt. Wie wir gedenken, ihn aufzuhalten. Durch Abnehmen, Rauchen Abgewöhnen, körperliche Betätigungen. Köhlmeier will unser Alter wissen: Wir wären doch zehn Jahr jünger als er. Jo meint, er würde trotzdem in den Rubriken „verstorben“ nachsehen, welche Jahrgänge sich darunter befänden. Stimmt, pflichtet Köhlmeier bei, und fragt, ob jemand von uns rauche. Dann schnuppert er an Jos Tabak: Wie gut der rieche! Und wehe, die kommen irgendwann drauf, daß Rauchen eigentlich gesund sei.
Jo zündet seine Slbstgedrehte an, inhaliert und fragt, ob sein Eindruck richtig sei, daß die Romane irgendwie autobiographisch wären. – Ziemlich, antwortet Köhlmeier. Nicht eins zu eins, aber zum Beispiel lasse sich in seinen Büchern nicht verleugnen, daß er früher oft Beziehungen zu Frauen mit Kindern gehabt hätte. (Jo übrigens auch.)
Autobiographisch
Oder daß ihn, als er bei den Recherchen für „Spielplatz der Helden“ nach Süd-Tirol gefahren sei, seine Bekanntschaft mit jener Frau, die er dann im Roman ebenfalls beschrieben hat, viel mehr beschäftigt habe als die Aussagen der drei Grönland-Expeditionsteilnehmer (welche auf der Expedition nur gestritten oder gar nichts miteinander gesprochen haben). Am „Spielplatz“ lasse sich auch sein, Köhlmeiers, „Faible für ausgefallene Formen“ ausmachen, in diesem Fall anhand eines „Doppelromans“. Viele Männer wären übrigens der Ansicht, er hätte die Beziehungs-Geschichte weglassen sollen, manche Frau habe ihm gesagt, daß sie die Grönlandgeschichte weniger bis gar nicht interessiert hätte.
Auch das Tyrannisieren eines Kollegen in „Die Musterschüler“ sei autobiographisch, aber er habe sich natürlich nicht mehr an alle Mitschüler erinnern können und sich halt andere Vorlagen genommen. „Die Musterschüler“ sei übrigens sein liebstes Buch, an dem er, obwohl es auch das längste sei, am kürzesten geschrieben habe, allerdings mit jahrelanger Vorbereitungszeit. Zwei Versionen habe er verfaßt, bevor er im Verhör-Charakter die entsprechende Form für den Inhalt gefunden habe.
Odysseus
Im übrigen schreibe er gerade an einer Trilogie. Er sieht Jo an. Jo: Und wovon handelt die? Köhlmeier: Na bitte. Zu einer Trilogie habe sich unterm Schreiben sein „Odysseus“ ausgeweitet, im August erscheine mit „Telemach“ der erste Teil. Darin erzählt Köhlmeier Homers Epos nach und legt über ein heutiges Ambiente eine „Folie der Antike“. Das würde komplizierter klingen, als es sei, wenn man das Buch vor sich hat –
Moment. Köhlmeier springt auf, holt ein „Telemach“-Vorzugsexemplar für Buchhändler und Journalisten und schenkt es Jo. Der meint blätternd, der „Peverl Toni“ handle ja auch von einer Reise, und Köhlmeier staunt darüber, daß Jo diesen Roman in einem Zug durchgelesen habe. Obwohl der so kompliziert sei? Jo: Überhaupt nicht. Mit „Moderne Zeiten“ habe ich meine Schwierigkeiten gehabt. Köhlmeier: Ja, die sind kugelförmig aufgebaut. Ich wollte, daß man bei Seite 80 zu lesen beginnen kann und am Schluß die ersten 80 Seiten. Das ist wie ein Mosaik, steht man ganz nah, erkennt man nichts, erst aus der Ferne sieht man, was dargestellt ist. – „Als das Schwein zum Tanzen ging“ sei auch nicht angekommen. Haben Sie das ebenfalls?
Als Jo bejaht, grinst ihn Köhlmeier an: Aber „Die Leute von Lech“ kennen Sie nicht! Jo stimmt zu. – Da wollte der Bürgermeister von Lech etwas für seine Gemeinde tun, die ihre Seele dem Fremdenverkehr verkaufe. Er, Köhlmeier, wollte erst keine Fremdenverkehrs-Broschüre schreiben, doch der Bürgermeister habe erwidert, gerade das soll‘s nicht sein.
Köhlmeier springt auf und will den Foto-Band mit seinen Texten holen, kommt mit einem Armvoll Bücher zurück. Ob ich „Moderne Zeiten“ hätte? Ja? Also bekommt es der Fotograf Andreas. ich erhalte „Sunrise“, Jo die „Leute von Lech“. Dafür interessiert sich Andreas natürlich auch. Und welches will dann ich noch, damit ich nicht benachteiligt werde? – Den „Peverl Toni“ habe ich noch nicht. Jo: Was?
Den “Peverl Toni” zurückholen
Jo hat seinen „Peverl“ sogar dabei, erzählt, daß ihm dieses Buch mit einer Freundin abhanden gekommen sei. Den „Peverl“ habe er sich zurückholen können. Er zieht ein paar lose Seiten aus dem Buch: Und so hab‘ ich ihn wiederbekommen.
Wir nähern uns der Duz-Grenze, ohne sie zu überschreiten (stellen zumindest Jo, Andreas und ich nach dem Gespräch fest). Ich mache mir jedenfalls kaum noch Notizen, und kann daher für die richtige Reihenfolge dessen, wovon ich noch berichte, keine Gewähr übernehmen. Wann hat uns Köhlmeiers Tochter den Kuchen gebracht? Wann hat Andreas den im Haus sitzenden Köhlmeier von draußen fotografiert? Wann haben Jo und sein Lieblingsautor was über den Roman „Bleib über Nacht“ gesprochen? Wie sind die beiden auf ihre Geistesverwandtschaft gekommen?
Auf jeden Fall hat Köhlmeier (nach Germanistik) einmal kurz Mathematik studiert. Und dabei zwar nichts verstanden, beweist uns seine mathematischen Fähigkeiten jetzt jedoch anhand eines „Peverl Toni“-Kapitels. Und erwähnt wahrscheinlich beiläufig, wie sehr er sich als Schüler für die Trisektion des Winlkels begeistert habe.
Jo: Was? Wirklich?
Köhlmeier: Ja, ich habe es monatelang versucht.
Jo: Ich auch.
Köhlmeier: Darum also –
Ich: Was ist die Tri-Dings?
Ein Außenstehender
Die beiden sehen zuerst zum Himmel, dann mich geringschätzig an. Köhlmeier erklärt mir kaum nachsichtig, daß die Trisektion (= Dreiteilung; Anm.) des Winkels mittels Zirkel unmöglich sei und ungefähr so etwas wie die Quadratur des Kreises. Eine Zeitlang habe es geheißen, wem es gelänge, der bekäme unglaublich viel Geld. Ein Amerikaner habe um die Jahrhundertwende eine Doppelseite der New York Times gekauft, um seinen Beweis in über hundert Schritten der Öffentlichkeit darzulegen. Er habe sich damit bloß ruiniert; niemand habe ihm Geld gegeben. In „Mein privates Glück“ käme die Trisektion auch vor. Ein Zuschauer habe ihm geschrieben, er habe ein Zusatzgerät zum Zirkel erfunden und zum Patent angemeldet, mit dem die Trisektion möglich wäre. Und ich hätte noch nie davon gehört?
Tja. Was sagt man als Außenstehender zum Problem der Menschheit? Man erkennt neidlos an, daß den „Peverl Toni“ gleich vier Verlage in ihr Programm aufnehmen wollten und daß Köhlmeier den ausgewählt hat, der ihm den meisten Vorschuß bezahlte.
Man berichtet, daß Köhlmeier neben seiner Arbeit an „Moderne Zeiten“ sieben Tage in der Woche fürs Radio gearbeitet hat (dabei unter anderem einen Arzt interviewen mußte und den zuerst fragte, was er ihn fragen solle).
Oh wie lacht
Man erwähnt weiters, daß Michael Köhlmeier mit Reinhold Bilgeri „wie mit einem Bruder aufgewachsen“ ist, und daß das Lied „Oh oh Vorarlberg, bischt zwar als Land ein Zwerg“ der Vorarlberger Kultplatte „Oh wie lacht“ – von Köhlmeier und Bilgeri – entstammt.
Man sollte die beiden Trisektionisten eigentlich alleine lassen, denke ich, höre zu, wie sie über den Roman „Die Figur“ reden, über Hörspiele, Drehbücher, über Musik, wie Köhlmeier uns (?) – Jo (?) auf seiner Slide-Gitarre vorspielt –
Frühmorgens im Autozug Richtung Wien fange ich an, „Sunrise“ zu lesen. Zu Hause angekommen, frage ich meine Frau, ob sie einen Zirkel habe. Ich zeichne einen Winkel, teile ihn erst einmal in zwei Hälften, probiere ein bißchen herum, nehme „Sunrise“ und lese weiter.
Man muß kein Trisektionist sein, um Köhlmeier zu mögen.
© Festivals, 1999
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